Der Rauchsalon
irgendeinem Grund hatte sie wohl
einen Mann mit kantigem Kinn und einem Trenchcoat mit hochgestelltem Kragen und
zusammengeknotetem Gürtel erwartet. Statt dessen stand sie einer älteren Dame
in einem schieferblauen Mantel mit kleinem grauen Nerzkragen gegenüber, die
einen blauen Velourhut trug, der ihr keck auf dem frisch frisierten
silbergrauen Haar saß. Die Frau war nicht größer als Sarah. Als Sarah sie
genauer ansah, kam sie ihr irgendwie bekannt vor. Auf einmal ging ihr ein Licht
auf.
»Na so was! Miss Smith! Was für eine
nette Überraschung, und wie hübsch Sie aussehen. Kommen Sie doch bitte herein.«
»Geben Sie es ruhig zu, Sie haben mich
auf den ersten Blick nicht erkannt, oder? Mr. Bittersohn meinte, das wäre die
beste Tarnung, die es für mich gibt. Tut mir leid, daß ich kein Schwarz trage,
wo es doch ein Begräbnis ist, aber das sind die einzigen guten Sachen, die ich
besitze, und ich wollte nicht, daß Sie sich vor allen Leuten schämen, so wie
das erste Mal.«
Sie zog den Mantel aus und enthüllte
ein ebenfalls schieferblaues Hemdblusenkleid mit gefälteltem Oberteil, das
vorne eine Reihe winziger, mit Stoff überzogener Knöpfchen aufwies. »Gefällt
Ihnen das Kleid? Ich habe es zum Personalrabatt bei unserem Räumungsverkauf
gekauft. Hab’ mir gedacht, wenn ich schon etwas kaufe, dann muß es auch etwas
Gutes sein, weil ich ja nicht wußte, ob ich mir je noch eins würde leisten
können. Er hat mir Geld für die Reinigung und für den Friseur gegeben. So ein
netter junger Mann. Seine Mutter ist bestimmt sehr stolz auf ihn.«
»Also, soviel ich weiß, ist sie eher
enttäuscht, daß er kein Fußpfleger geworden ist«, sagte Sarah. »Ihr Kleid ist
wirklich wunderschön. Ich wünschte mir, ich hätte auch so etwas Hübsches. Kann
ich Ihnen etwas zu essen anbieten?«
»Also — «
»Mögen Sie mit in die Küche kommen? Ich
war gerade dabei, mir selbst ein Häppchen zurechtzumachen.«
Während sie eine weitere Tasse und
einen Teller herausholte, setzte sich Miss Smith auf einen Stuhl und seufzte
begeistert aus tiefstem Herzensgrund. »Ach, das ist aber angenehm. Ich kann
Ihnen gar nicht sagen, wie schön es ist, endlich mal wieder an einem richtigen
Küchentisch zu sitzen. Nicht, daß wir im Altentreff keine ordentlichen
Mahlzeiten bekommen, aber immer nur an Riesentischen, und jedesmal stößt einem
irgend so ein komischer alter Kauz den Ellenbogen in die Rippen und will, daß
man ihm das Ketchup rüberreicht. Nicht sehr gemütlich, wenn Sie wissen, was ich
meine.«
»Das kann ich mir vorstellen. Trinken
Sie Ihren Tee mit Milch und Zucker? Oder mögen Sie lieber Kaffee? Ich kann
Ihnen ganz schnell einen machen.«
»Nein, Tee ist genau richtig, und ich
habe mir angewöhnt, ihn nur mit Zucker zu trinken. Wir stibitzen immer diese
kleinen Zuckertütchen aus den Schalen, wenn man uns die Gelegenheit dazu gibt.
Das wissen die natürlich, aber sie tun so, als ob sie es nicht merken. Ja, in
meinem Zimmer habe ich eine kleine Kochplatte, und ich habe auch Teebeutel und
Zucker, aber keine Milch, weil sie mir doch nur sauer wird, und wer kann sich
Milch heutzutage noch leisten? Aber Sie sollten mich nicht so bedienen. Ich bin
zum Arbeiten hergekommen, und das werde ich auch tun, darauf können Sie sich
verlassen. Mr. Bittersohn hat gesagt, ich soll außerdem die Augen offenhalten
für den Fall, daß ich jemanden erkenne.«
»Keine Sorge, gleich wird es hier genug
zu tun geben. Essen Sie nur in aller Ruhe Ihr Sandwich, solange Sie noch die
Zeit dazu haben. Ich schneide uns rasch ein Stück Kuchen ab.« Wie Sarah
erwartet hatte, war Miss Smith ohne ihre Stoffschichten dünner, als gut für sie
war.
Im Moment war sie jedoch überglücklich.
»Das erinnert mich an die Zeit, als meine Mutter noch lebte. Nicht, daß wir so
elegant gelebt hätten wie Sie, aber wir hatten eine hübsche Wohnung in einem
dreistöckigen Haus drüben in der Savin Hill Road. Denken Sie bloß nicht, daß
ich mein Leben lang so heruntergekommen gelebt habe.«
»So wirken Sie jetzt auch nicht«,
versicherte Sarah. »Dazu haben Sie viel zu viel Energie.«
Sie war zu der Überzeugung gekommen,
daß Miss Smith ein ganzes Stück jünger war, als sie in ihrer Arbeitskleidung
aussah, wahrscheinlich war sie nicht älter als Ende 60. Sie hatte auf ihr
wettergegerbtes Gesicht etwas Make-up aufgetragen, das sicher aus einem
wohlgehüteten Vorrat stammte, die Lippen waren dezent blaßrosa geschminkt, und
sie trug sogar einen Hauch
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