Der Rebell
den Wind im Gesicht, und es gefiel ihm, auf Pyes Rücken
über die Felder zu galoppieren, ehe die düsteren Wolken ihre Schleusen öffneten.
Wie wunderbar wäre es, in Lavinias Armen alle Sorgen zu vergessen, wenigstens für eine kleine Weile ...
Ein leises Geräusch im Wasser riß ihn aus seinen Gedanken. Im selben Moment sah er die Frauenkleider, die unter einem Baum lagen. Die Augen zusammengekniffen, blinzelte er ins Sonnenlicht und entdeckte die Gestalt in den glitzernden Wellen des Teichs. Also hatte sie ihm doch keinen Korb gegeben. Lavinia steckte voller Überraschungen. Und er hatte stets geglaubt, sie würde niemals schwimmen und ihre kunstvolle Frisur gefährden.
Aber da glitt sie durch das klare Wasser, anmutig wie eine Meerjungfrau. Voller Vorfreude zog er sich aus und verdrängte alles, was ihn bedrückte.
Alaina merkte nicht, daß sie Gesellschaft hatte. Träumerisch erinnerte sie sich an die Riffe der Keys, an die Strömung, in der sie so oft geschwommen war, während ihr Vater geangelt hatte.
Zwischen den Riffen dort tummelten sich zahlreiche Fische in verschiedenen Farben und Formen. Salz hatte in Alainas Augen gebrannt, und das Meereswasser war viel wärmer als dieser Teich. In der klaren, vom Sonnenschein erhellten Tiefe sah sie Felsbrocken und schwankende Pflanzen, und wenn sie untertauchte, glaubte sie in eine grüne Märchenwelt einzudringen. Wie schön und friedlich es hier ist, dachte sie. Längst war ihr Zorn über die ungeheure Demütigung verflogen.
Sie genoß ihr erfrischendes Bad in vollen Zügen — bis sie plötzlich von großen, kräftigen Händen gepackt wurde. Sie umfaßten Alainas Taille, glitten über ihre Brüste, zwischen ihre Beine ...
O Gott, also war ihr der elende Peter doch noch gefolgt,
um ihr klarzumachen, daß sie nicht zu den anständigen jungen Damen zählte und die Situation mit seinen Augen betrachten müßte. Seltsamerweise schien er ihr nicht zu zürnen. Und wie stark er war ... Das konnte nicht Peter sein. Aber wer sollte sie sonst attackieren und sie so intim berühren? Erschrocken begann sie sich zu wehren.
Warum war sie so albern und leichtsinnig gewesen? Er mußte geglaubt haben, sie würde ihn hier erwarten — und ihn begehren, trotz ihres wütenden Protests ...
Nein! Diese Erniedrigung würde sie nicht ertragen. Wasser füllte ihren Mund und ihre Lungen. Närrin, schalt sie sich. Sie hatte versucht, Atem zu holen, um zu schreien und zu kämpfen. Nun würde sie ertrinken. Mit aller Kraft trat sie nach ihrem Angreifer, wand sich verzweifelt in seinen Armen umher und strebte zur rettenden Oberfläche des Teichs hinauf.
Und dann sah sie eine dunkle, muskulöse Brust mit schwarzem Kraushaar. Das war nicht Peter. Lieber Gott... Warum betete sie? Der Allmächtige hatte sie verlassen, und sie würde in diesem Teich sterben. Als ihre schmerzenden Lungen zu bersten drohten, flimmerten schwarze Punkte vor ihren Augen. Jetzt fürchtete sie nicht mehr, von einem Fremden vergewaltigt oder ermordet zu werden, denn alle ihre Gedanken versanken im dunklen Nichts ...
Irgendwann — Sekunden oder Minuten später? — konnte sie wieder sehen und atmen. Ihr Gesicht ragte aus dem Wasser. Und sie wurde zum Ufer gezogen. Ein starker Arm umschlang ihren Körper, direkt unter den Brüsten. »Heiliger Himmel!« keuchte sie und versuchte ihn abzuschütteln. Mit Händen und Füßen wehrte sie sich.
»Lassen Sie den Unsinn!« fauchte der Mann. »Ich will Sie doch nur vor dem Ertrinken retten, und Ihre Knie sind verdammt hart ... Ah, Sie müssen die kleine Wildkatze sein, die Peter O'Neill so übel mitgespielt hat.«
Alaina starrte ihn an. In dunklen, kobaltblauen Augen spiegelte sich das funkelnde Wasser.
»Und wenn mich nicht alles täuscht, sind Sie auch die grandiose junge Fechterin.«
Als er sie losließ, rückte sie hastig von ihm ab und trat Wasser. In wachsendem Entsetzen musterte sie sein bronzebraunes, von schwarzem Haar umrahmtes Gesicht. Nun bedauerte sie, daß sie nicht gestorben war.
Ian McKenzie, der älteste Sohn des reichen, mächtigen Mannes, der Neffe des hochgeachteten James McKenzie, der künftige Herr von Cimarron, der attraktive Offizier, bereits in jungen Jahren eine Legende auf der Halbinsel, von den Weißen ebenso gepriesen wie von den Indianern ...
Vor einigen Jahren war sie ihm zum letztenmal begegnet. Sie entsann sich, wie fasziniert er ihren Vater mit Fragen bestürmt hatte, fest entschlossen, möglichst viel zu lernen.
Großer Gott, Ian
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