Der Rebell
mit Peter nur mehr wie ein unbedeutendes Ärgernis. Mühelos war es ihr gelungen, ihn abzuwehren, ihn zu verletzten und sich zu befreien. Ihr Vater hatte sie gelehrt, wie man kämpfte, wie man sich verteidigte, wie man Pistolen abfeuerte, und sogar einen Fechtmeister für sie engagiert. Aber jetzt wußte sie diese Fähigkeiten nicht zu nutzen. Wehrlos war sie Ian McKenzies Kraft ausgeliefert. Wie sollte sie ihm entrinnen?
»Bitte ...«, flüsterte sie atemlos und vergaß ihren Stolz. In aller Demut würde sie ihn anflehen ...
Zu spät.
Am Ufer erklangen Stimmen, Schritte näherten sich.
»Oh!« stöhnte eine Frau.
»Oh!« schrie ein wütender Mann.
Am liebsten wäre Alaina ertrunken. Aber Ian McKenzie schien sich auf die Pflichten eines Gentleman zu besinnen und schob sie hastig hinter seinen Rücken, um sie vor den Blicken der Neuankömmlinge zu schützen.
Über seiner Schulter sah sie die schöne, steinreiche, elegante Mrs. Lavinia Trehorn am Wasserrand stehen, ganz in der Nähe von Ians achtlos hingeworfener blauer Uniform.
An ihrer Seite hatte sich Peter O'Neill postiert, hochrot im Gesicht. »O ja, Lavinia, Sie hatten recht!« stieß er hervor. »Natürlich, Sie kennen Ian gut genug, und Sie wußten, wo wir ihn finden würden. Offensichtlich versucht er, Miss McMann zu trösten, das arme Lämmchen — was ihm gewiß nicht schwerfällt.«
»Um Himmels willen, Ian!« hauchte Lavinia vorwurfsvoll. Ihre schönen sinnlichen Lippen bebten dramatisch.
»Und ich dachte . . .« Wie ein gekränkter Engel starrte sie ihn an und drohte ergreifend die Besinnung zu verlieren.
Aber es war Peters verächtlich ausgespieener Ruf, der immer noch in Alainas Ohren gellte, während die beiden nach Cimarron zurückhasteten, um die allerneuste, farbigste, unglaublichste Klatschgeschichte zu verbreiten.
Mit glühenden Augen hatte er das nackte Mädchen, das nach wie vor Wasser trat, angestarrt und geschrien: »Hure!«
4
»Am liebsten würde ich diesen Bastard vierteilen und gleichzeitig erdrosseln«, murmelte Ian.
Aber Alaina hörte ihm nur mit halbem Ohr zu. Sie mußte aus diesem Teich steigen, ins Haus laufen und ihren Vater vor den anderen erreichen. Was sie ihm sagen würde, wußte sie noch nicht.
Die Wahrheit. Er würde ihr glauben.
Als sie voller Panik zum Ufer schwamm, fuhr plötzlich ein stechender Schmerz durch ihr rechtes Bein — ein Krampf. Stöhnend umklammerte sie ihre Wade.
Ian war sofort an ihrer Seite. »Was ist los?«
»Nichts! Rühren Sie mich nicht an!«
Er hob die Brauen. Dann schwamm er an ihr vorbei. Der Schmerz ließ nicht nach. Tapfer tauchte sie unter und versuchte das Bein zu massieren, ohne Erfolg. Sie holte Atem, versank wieder im Wasser, ihre Finger kneteten die schmerzende Wade. Doch es nützte nichts. Ihre Kräfte erlahmten. Unglaublich — Alaina McMann, die schon als kleines Mädchen geschwommen war und zwei Minuten lang die Luft anhalten konnte, würde ertrinken. Vor ihren
Augen tanzten wieder schwarze Punkte und verschmolzen zu einer finsteren Fläche.
Noch ein einziges Mal mußte sie sich zum Licht des Teiches emporkämpfen — und Ian um Hilfe bitten, so sehr sie diesen Gedanken auch verabscheute. Ihr Gesicht tauchte auf. »Hilfe ...«, gurgelte sie hervor. Und dann glitt sie in einen dunklen Abgrund.
Langsam kehrte die Besinnung zurück. Sie lag auf dem Bauch, im weichen Gras am Ufer. Neben ihr kniete ein triefnasser nackter Mann und preßte Wasser aus ihren Lungen. Hustend und spuckend drehte sie sich um und starrte entsetzt in Ian McKenzies dunkelblaue Augen.
»O Gott — nein ...« Sie sprang auf, etwas zu schnell, und taumelte.
Auch Ian erhob sich und hielt sie fest. »Wollten Sie wegen dieses albernen Gecken sterben? Kleine Närrin! Das ist er nun wirklich nicht wert.«
»Unsinn, ich habe nicht versucht, mich umzubringen.«
»Aber Sie lieben ihn?«
»Bitte — ich muß mich anziehen.«
Das sah er offenbar ein, denn er ließ sie los.
Während sie in ihre Sachen schlüpfte, kleidete er sich ebenfalls an, was ihm viel schneller gelang als ihr. Natürlich, dachte sie bissig, er ist's ja gewöhnt, sich blitzschnell an- und auszuziehen. Bald stand er in seiner blauen Uniform und blankpolierten Stiefeln neben ihr, den Waffengurt um die Taille geschlungen, und sie kämpfte immer noch mit ihrem Korsett.
»Darf ich Ihnen helfen?«
»Nein, ich ...«
Aber er zerrte bereits an den Bändern und verknotete sie. Offensichtlich war er auch darin geübt und hatte schon viele
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