Der Rebell
Korsetts verschnürt. Nachdem er ihr das Kleid über den Kopf gestreift und die Häkchen am
Rücken geschlossen hatte, setzte sie sich auf den umgestürzten Baumstamm und zog ihre Stiefel an.
Die Arme vor der Brust verschränkt, stand er am Ufer und beobachtete sie. Als sie aufsprang, trat er ihr in den Weg. »Wohin gehen Sie?« fragte er in gebieterischem Ton.
So leicht ließ sie sich nicht einschüchtern. »Ich muß mit Papa reden. Und Sie sollten sich an Ihren Vater wenden. Immerhin ist das alles auf seinem Grund und Boden geschehen, was ihn vermutlich beunruhigen wird.«
»Wenn ich ihm die Situation erkläre, bringt er sicher Verständnis dafür auf. Allerdings habe ich im Augenblick andere Sorgen.«
»O ja, Ihr Vater wird's verstehen, daß Sie sich einfach nur wie ein richtiger Mann benommen haben. Aber mein Vater ist ein menschliches Wesen, das mich liebt ...«
»Gewiß, und darin liegt das Problem.«
»Wir haben kein Problem, Mr. McKenzie. Zweifellos wird Ihnen Mrs. Trehorn die kleine Entgleisung verzeihen, und Sie dürfen sich bald wieder mit der schönen Witwe amüsieren. Was mich betrifft — angeblich bin ich eine Hexe. Also wird sich niemand wundern, wenn ich hin und wieder den Sünden des Fleisches fröne. Noch tiefer kann ich ohnehin nicht sinken oder gedemütigt werden ...«
»Ah, jetzt verstehe ich die Zusammenhänge«, fiel er ihr ins Wort. »O'Neill hat Ihnen die Ehe versprochen, und Sie sind seiner Familie nicht gut genug.«
»Wenn man Sie in meiner Gegenwart jemals wieder einen Gentleman nennt, werde ich mich — übergeben!« fauchte sie empört. »Und jetzt lassen Sie mich gehen!«
»O nein. Sie haben mich kompromittiert.«
»Was?« kreischte sie. »Machen Sie sich nicht lächerlich. In dieser Welt dürfen die Männer doch tun, was sie wollen, und man rechnet sogar damit, daß sie die Gesellschaft eines — gefallenen Mädchens suchen.«
»Miss McMann, die Situation ist sehr delikat ...« Er zögerte nur kurz. »Erwarten Sie ein Kind von O'Neill?« Hätte er ihr ins Gesicht geschlagen, wäre sie nicht verblüffter gewesen. Sie konnte ihn nur anstarren, und er mißverstand ihr Schweigen. »Armes Mädchen. Also deshalb wollten Sie sich umbringen?«
Am liebsten hätte sie ihm die Wangen zerkratzt, und sie versuchte es auch. Aber er war wieder einmal schneller und packte ihre Handgelenke.
»Nein, verdammt!« schrie sie. »Ich erwarte kein Kind von Peter O'Neill, und ich würde mir niemals das Leben nehmen, schon gar nicht wegen eines so elenden Kerls!«
»Sind Sie sicher? Ich meine, bezüglich des Kindes ...«
»Völlig sicher. Außerdem geht Sie das nichts an. Und jetzt lassen Sie mich los. Ich muß mit meinem Vater reden.«
»Hören Sie, wir können nicht einfach ins Haus spazieren.«
»Warum nicht?«
»Inzwischen wird O'Neill allen Leuten von unserem kleinen Stelldichein im Teich erzählt haben. Ihr Vater fühlt sich erniedrigt und meiner ist wütend, weil ich angeblich die Tochter eines guten Freundes entehrt habe.« Er ließ ihre Handgelenke los und begann nachdenklich umherzuwandern. »Auch mein Onkel wird sich maßlos ärgern, nachdem er mich damals mit Mr. McMann bekannt gemacht hat. Vielleicht wird mich Ihr Vater zum Duell fordern.«
»Das ist doch absurd.«
»Immerhin leben wir in den Südstaaten, wo die Ehre eines Mannes sehr viel zählt.« Seine Stimme klang bitter, und Alaina wußte nicht, ob er seine Heimat oder sich selbst verhöhnte. »In irgendeiner Weise muß Ihr Vater Genugtuung verlangen, und es würde mich zutiefst betrüben, den bedauernswerten alten Mann zu verletzen.«
»Glauben Sie tatsächlich, Sie wären ihm haushoch überlegen? Wie kann man nur so arrogant sein?«
»Verzeihen Sie«, erwiderte er trocken.
Aber sie wußte trotz ihres Zorns, daß er nur sein Schwert zücken müßte, um ihren Vater zu Tode zu erschrecken. Papa war alt, und er hatte jahrelang nicht mehr gefochten, weil er sich nur für seine Bücher und die Wissenschaft interessierte. Andererseits würde er sich als typischer Südstaaten-Gentleman bemüßigt fühlen, für die Ehre seiner kompromittierten Tochter zu kämpfen. »O Gott, mein armer Vater.«
»Vielleicht hätten Sie an ihn denken sollen, bevor Sie aus ihren Kleidern gestiegen und in den Teich gehüpft sind.«
»Ich dachte, ich wäre allein. Und jeder echte Gentleman hätte ...«
»Wollten Sie tatsächlich nicht auf Peter O'Neill warten?«
»Sie werden gar keine Gelegenheit finden, meinen Vater im Duell zu töten. Weil
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