Der Rebell
Januar. Von diesen Ereignissen merkte Alaina nichts, denn am 10. Januar, um zwölf Uhr mittags, erblickte Sean Michael McKenzie endlich das Licht der Welt, nach stundenlangen Wehen.
Ian hatte den Ernst der Lage sofort erkannt, seine zitternde Frau in den Umhang gehüllt, aus Mrs. Greenhows Haus getragen und in die Kutsche gebracht.
Voller Zorn und Sorge nannte er sie eine kleine Närrin. Doch das klang harmlos, verglichen mit den Schimpfwörtern, die sie ihm während der Nacht und des nächsten Tages an den Kopf warf. Der freundliche Arzt erklärte, der Allmächtige habe den Frauen dieses Leid nun mal aufgebürdet, und daran lasse sich nichts ändern.
Beinahe war sie dankbar für die heftige Diskussion mit ihrem Mann, die sie von den qualvollen Schmerzen ablenkte. Obwohl der Doktor ihm einen Drink in der Bibliothek oder einen mitternächtlichen Ritt vorschlug, blieb Ian neben Alainas Bett sitzen. Lilly — mit einer irritierenden Ich-hab's-ja-gesagt-Miene — hatte ihr aus der durchnäßten Kleidung geholfen und ein frisches Nachthemd angezogen. Sobald die Zofe das Zimmer verlassen hatte, fauchte er: »Wieso um alles in der Welt hast du dich so albern aufgeführt?«
»Mir war langweilig, und ich wollte endlich ausgehen ...«
»Weil dich politische Debatten viel mehr interessieren als dein Kind!«
»O nein! Es kommt ein bißchen zu früh auf die Welt.«
»Jedenfalls hattest du keinen Grund, die Party zu besuchen.«
»Doch«, flüsterte sie. »Ich wollte herausfinden, warum du hingegangen bist.«
»Tatsächlich? Nun, es ist dir immerhin gelungen, meinen Aufenthalt in Mrs. Greenhows Haus dramatisch zu verkürzen.«
Ehe sie antworten konnte, wurde sie von neuen Wehen geplagt und hätte beinahe geschrien. Aber sie würde sich vor Ian keine Blöße geben, und so biß sie energisch die Zähne zusammen. »Du — solltest mich allein lassen«, keuchte sie.
»Nein.«
Im Lauf der Nacht war sie sogar dankbar für seine Anwesenheit. Stöhnend umklammerte sie seine Hand, lauschte seiner beruhigenden Stimme, spürte seine sanften Finger, die ihre Stirn immer wieder mit feuchten Lappen kühlten.
Als sie die Niederkunft endlich überstanden hatte, war er der erste, der das Baby aus den Händen des Arztes entgegennahm. »Ein Junge, Alaina!« Trotz ihrer Erschöpfung empfand sie ein heißes Glücksgefühl angesichts seiner unverhohlenen Freude. »Ein Junge mit dichtem Haar, zehn Fingern und zehn Zehen — alles ist dran«, fuhr er aufgeregt fort. Dann legte er seinen Sohn in Lillys Arme, die ihn badete und in ein Tuch wickelte. »Hab' ich's nicht gesagt? Es wird ein Junge.« In diesen Worten schwang unbändiger väterlicher Stolz mit.
Alaina lächelte schwach. Noch nie war sie so müde und zugleich so froh gewesen. Lilly übergab ihr wenig später das Baby, das schreiend gegen seine neue Umwelt protestierte. Entzückt strich Alaina über das flaumweiche Haar und betrachtete die blauen Augen, von zärtlicher Liebe erfaßt.
In diesem Moment liebte sie den Vater ihres Sohnes inniger denn je.
»Er hat deine Augen, Ian.«
»Oder vielleicht Teddys Augen.«
Gerührt küßte sie seine Hand, die über ihre Wange strich. »Vielen Dank, daß du das gesagt hast.«
»Und ich danke dir für meinen wundervollen Erben«, erwiderte er und preßte seine Lippen auf ihre Stirn. Ermattet schloß sie die Lider. Irgend jemand nahm ihr das Baby aus den Armen, und sie schlief zufrieden ein.
»Ich würde ihn gern Sean Michael McKenzie nennen, nach meinem Großvater«, erklärte Ian, als er am nächsten Abend neben Alainas Bett saß. Hingerissen beobachtete er den Säugling, der an ihrer Brust lag und den Daumen seines Vaters festhielt. »Wenn du willst, taufen wir unseren zweiten Sohn Theodore.«
»Und wenn's ein Mädchen wird?«
»Theodora? Thedosia?« Fragend schaute er sie an, und sie senkte rasch den Blick. Er sollte nicht sehen, wie sehr sie sich freute, weil er mit weiterem Familienzuwachs rechnete.
»Sean Michael — das gefällt mir.«
Eines Morgens schlief Alaina, den kleinen Sean Michael im Arm, als es leise an der Tür klopfte. Gähnend öffnete sie die Augen und raffte das Nachthemd über der Brust zusammen. Während sie das Baby gestillt hatte, war sie eingenickt.
Zu ihrer Verblüffung trat Risa Magee ein, elegant gekleidet, das Haar zu einem kunstvollen Chignon hochgesteckt. »Herzlichen Glückwunsch.« Auf Zehenspitzen schlich sie zum Bett und neigte sich über den schlummernden Säugling. »Oh, wie hübsch er
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