Der Rebell
Nachdenklich faltete sie den Brief zusammen. »Ich werde ausgehen.«
Vergeblich bemühte er sich, seine Überraschung zu verbergen. »Aber — das Baby, Ma'am.«
»Das Baby braucht frische Luft. Bitte, schicken Sie Lilly zu mir.«
Obwohl er mißbilligend die Lippen zusammenpreßte, nickte er und entfernte sich.
Alaina eilte zum Toilettentisch. Vor einigen Tagen hatte sie Mrs. Greenhows Einladung erhalten, die an sie adressiert gewesen war. Beim Dinner hatte sie Ian darüber informiert. Natürlich hatte er erklärt, so kurz vor ihrer Niederkunft dürfe sie sich keine anstrengende gesellschaftliche Veranstaltung zumuten.
Aber sie ertrug es nicht, noch länger in diesen vier Wänden auszuharren. Allmählich fühlte sie sich wie eine Gefangene. Und die einseitigen politischen Meinungen, die sie den Zeitungen entnahm, genügten ihr nicht. Sie wollte wissen, was die Leute von der Situation hielten. Vielleicht würde sie auf der Party einen Südstaatler treffen, der eher bereit wäre, über die Lage zu reden, als ihr Ehemann. Außerdem konnte sie es kaum erwarten, Colonel Magees Tochter kennenzulernen.
Normalerweise eine treue Verbündete, erhob Lilly energische Einwände. »In Ihrem Zustand schickt sich das einfach nicht, Missus. Und Sie müssen an das Baby denken. Wenn Sie hinfallen ...«
»Ich werde nicht hinfallen.«
»Aber Sie könnten Ihren Mann ärgern.«
Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. »Das nehme ich in Kauf«, erwiderte Alaina. »Bitte, Lilly, ersparen Sie mir Ihren Protest. Mein Entschluß steht fest. Also frisieren Sie mich so hübsch wie möglich.«
Seufzend gehorchte die Zofe. Dreißig Minuten später musterte Alaina — in einem schwarzen Kleid mit hoher Taille und weitem Rock, der ihre Schwangerschaft einigermaßen verhüllte — ihr Spiegelbild. Allzu verführerisch sah sie nicht aus, aber halbwegs elegant.
In der Halle legte sie ihr weites Cape um die Schultern und bat Henry, den Wagen Vorfahren zu lassen. Sekundenlang geriet sie in Panik. Ian würde wütend sein. Wenn er die Party zusammen mit Miss Magee besuchte ... Aber dann hob Alaina entschlossen das Kinn. Die Einladung war an sie adressiert worden, und sie würde hingehen. Zum Teufel mit allen Bedenken!
Risa Magee nippte an ihrem Sherry, lächelte gezwungen und gab vor, Colonel Montgomery zuzuhören, einem alten Freund ihres Vaters, der eine langwierige Geschichte über die Indianerkämpfe im Westen erzählte.
Wäre sie doch im Westen — oder sogar im gottverdammten Süden ... Überall, nur nicht hier. Aber ihr Vater hatte kategorisch erklärt, sie müsse ihn zu der Dinnerparty begleiten, und sie erfüllte ihre Pflicht, so wie immer. Nicht, daß die Gesellschaft langweilig gewesen wäre. In Mrs. Greenhows Salon hatten sich faszinierende Persönlichkeiten eingefunden, ranghohe Militärs, Politiker, Schriftsteller, Geschäftsmänner, Kleriker — und bedauerlicherweise Ian McKenzie.
So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte einfach nicht so tun, als hätte sie ihn niemals geliebt und niemals gehofft, seine Frau zu werden. Jetzt war er mit einer anderen verheiratet.
Schon bevor er ihr die Wahrheit gestanden hatte, waren peinliche Gerüchte nach Washington gedrungen. Sie wußte, wie sehr er unter der furchtbaren Situation gelitten hatte. Und wenn sie seinen Blick spürte, merkte sie, daß er sie immer noch reizvoll fand.
Mit seiner Frau, die irgendwo in der Wildnis Floridas aufgewachsen war, würde ihn außer der erzwungenen Ehe nichts verbinden. Dieses Mädchen, jahrelang der schädlichen Tropenhitze ausgesetzt, mußte häßlich wie die Sünde sein, mit brauner, ledriger Haut und ausgebleichtem Haar.
Und so eine Person hat mein Glück zerstört, dachte sie erbost.
Zu ihrem eigenen Entsetzen wünschte Risa, sie wäre klug genug gewesen, Ian rechtzeitig zu verführen. Dann wäre sie jetzt seine Frau, würde sein Kind erwarten und ihn in seiner Liebe zur Union bestärken, statt diese zweigeteilte Loyalität in seinen Augen zu lesen. Wieviel Bitterkeit mochte sein Leben vergiften, seit er die Südstaatlerin geheiratet hatte ...
Da sie von Alainas Schwangerschaft erfahren hatte, mußte sie natürlich akzeptieren, daß eine gewisse Beziehung zwischen den beiden bestand. Und sie hatte Ian selbstverständlich gratuliert. Das war sie allein schon ihrem Stolz schuldig.
Bei der ersten Begegnung nach seinem Urlaub hatte sie bestürzt erkannt, wie sehr sie ihn immer noch liebte. Er stand in ihrem Salon, so attraktiv in seiner blauen Uniform
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