Der Regen in deinem Zimmer - Roman
zu gehen. Eine mir endlos erscheinende Weile machte sie einen Haufen mies bezahlter Jobs. Hätten wir nicht ein Dach über dem Kopf und meine Großmutter gehabt, die uns unter die Arme griff, hätten wir wirklich alt ausgesehen. Damals fing ich an, sie beide inbrünstig zu hassen, ihn – heute weiß ich es –, weil er sich als selbstverliebter Lackel mit einem angeborenen Talent für Liebeswucher herausgestellt hatte, aber vor allem sie, weil sie sich so schwach und unfähig zeigte, dass ich in manchen Momenten meinte, es geschehe ihr recht, sie habe es verdient, so zu leiden.
Meine Großmutter, die bis dahin nur zugesehen hatte, fasstesich eines Tages ein Herz und sprach die Sache an. Ich weiß noch, dass ich von der Schule nach Hause kam und sie diskutieren hörte. Sie hatten mich nicht hereinkommen hören, und ich hatte mich leise zur Wohnzimmertür geschlichen, um zu lauschen. Meine Großmutter klang bestimmt, fast streng. Ich stellte mir vor, wie sie mit verschränkten Armen neben der Balkontür stand und nach draußen sah, in Gedanken bei einer ganz ähnlichen Szene vor vielen Jahren. Meine Mutter sagte immer wieder in hartem Ton: »Halt dich da raus!«, und ich wartete nur darauf, dass eine der beiden plötzlich losschreien würde. Schließlich war meine Großmutter die ewige Litanei leid und wurde laut. »Hör auf, dich lächerlich zu machen, du hast eine Tochter, die sehr wohl zu beurteilen weiß, was hier vor sich geht!« Das war der Funke. »Das Problem ist nicht Alessandra, sondern du!«, schrie meine Mutter zurück. »Du hast immer über mich geurteilt, früher wie heute!« Dieser Satz barg sämtliche Sedimente der Vergangenheit, die die Zeit nicht abgetragen hatte und die ich nur erahnen konnte. Ich hatte sie nie so streiten hören und ertrug es nicht. Nach einer kleinen Weile schlich ich zurück und ließ die Wohnungstür laut ins Schloss fallen, um der müßigen Diskussion ein Ende zu setzen.
Wenig später erreichte die Beziehung zwischen Alberto und meiner Mutter ihre Endstation, als er ihr eröffnete, er habe eine andere. Als Mama es uns erzählte, tauschten Nonna und ich einen raschen Blick und rechneten mit dem Schlimmsten. Ich weiß es noch genau, es war an einem Sonntag beim Mittagessen, und sie ließ diese Worte wie ein Todesurteil klingen, wie etwas Unabwendbares, Endgültiges.
Zum Glück hatte meine Mutter zu der Zeit eine Anstellung als Immobilienmaklerin gefunden: Den ganzen Tag unterwegszu sein, kreuz und quer durch die Stadt zu fahren und jungen Liebespaaren oder erfolgreichen Singles Wohnungen zu zeigen, lenkte sie ab. Endlich ein Job, der ihr wirklich gefiel, sie liebte die Wohnungen, die sie verkaufte, doch das Glück der Pärchen war ihr ebenso zuwider wie die Einsamkeit der Alleinstehenden, in der sie sich irgendwie wiedererkannte. Mit uns redete sie kaum, und ich hatte Angst, sie könnte eine Dummheit machen. Eine Zeitlang wollte sie noch nicht einmal Angela und Claudia sehen, die von meiner Großmutter telefonisch auf dem Laufenden gehalten wurden.
Dennoch hielt ich daran fest, sie hätte es sich selbst zuzuschreiben, und machte sie für alles verantwortlich, auch wenn ich im Grunde wusste, dass ich unrecht hatte: Man kann nicht entscheiden, wann man aufhört zu lieben, und ebenso wenig, in wen man sich verliebt. Aber ich war so bang um sie, dass ich hoffte, meine Vorwürfe könnten sie dazu bringen, sich aus diesem sinnlosen Leidensstrudel zu befreien. Als sie sich eines Abends fertigmachte, um alleine tanzen zu gehen, verurteilte ich sie innerlich, dachte, sie sei oberflächlich, baue nur Mist und würde nie erwachsen werden. Doch die Wahrheit war eine andere: Ich ertrug ihren Schmerz nicht. Sie so zu sehen riss mir den Boden unter den Füßen weg, machte mich hilflos, als hätte jemand das Häuschen umgeblasen, das mich bis dahin geschützt hatte, und mir gezeigt, wie zerbrechlich es war. Ich wollte eine starke, souveräne Mutter, die sich von nichts umhauen ließ. Wie die meiner Klassenkameradinnen, gepflegt, mit ihrer häuslichen Welt im Reinen, irgendwie komplett und vollkommen. Unerschütterlich, auch wenn es nicht stimmte, und es war egal, wie scheinheilig und selbstbezogen sie in Wirklichkeit waren.
Es dauerte eine ganze Zeit, bis meine Mutter über diese Geschichte hinwegkam, vielleicht kam sie auch nie darüber hinweg. Eines Sonntagmorgens, als wir in der Bar an der Piazza frühstückten und sie besonders gut gelaunt war, fragte ich sie, ob sie noch an Alberto
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