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Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Titel: Der Regen in deinem Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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ich in die Klasse komme, sitzt Gabriele schon auf seinem Stuhl. Zu meinem größten Erstaunen grüßt er mich und schiebt seinen Block zur Seite, um für meine Sachen Platz zu machen. Ich grüße zurück, ziehe die Jacke aus, setze mich und schlage, um etwas zu tun, das Aufgabenheft auf. Während ich abwesend darin herumblättere, dreht er sich zu mir um und legt die Hand auf meine Rückenlehne. Sofort verkrampfe ich mich, bestimmt beobachten uns alle. »Wie geht’s?«, fragt er leise. »Gut.« Ich werfe einen verstohlenen Blick in die Klasse. »Alle glauben, wir sind zusammen.« Ich wollte nicht so pikiert klingen, aber jetzt ist es zu spät. Er nimmt die Hand von der Lehne und stemmt sich gegen die Tischkante, als wollte er den Stuhl zurückschieben und aufstehen. »Na und?«, sagt er eisig und sieht mich an. »Ich hab’s nur so gesagt, damit du Bescheid weißt.« Ich tue so, als ob ich lese. »Du weißt doch, wie scheißegal mir ist, was diese Arschlöcher denken. Stört’s dich etwa?« – »Mich? Wieso sollte es?« Ich sehe ihn herausfordernd an. »Wenn es mich stören würde, wäre ich nicht mit dir essen gegangen.« Offenbar bin ich zu laut geworden, denn alle glotzen uns an. Nur Sonia tut so, als wäre nichts, vielleicht als Freundschaftsbeweis nach unserer Annäherung gestern Abend. Sofort verkriecht sich Gabriele in sein bleiernes Schweigen und fängt an zu zeichnen. Zum Glück kommt die Italienischlehrerin herein, der Unterricht beginnt, und die Blicke wandern zum Pult. Während die Lehrerin an die Tafel schreibt, sehe ich aus dem Augenwinkel,wie Gabriele sich zu mir beugt. »Machst du morgen mit mir blau?«, flüstert er, ohne die Augen von der Lehrerin abzuwenden. Ich werde rot und bin froh, dass er mich nicht ansieht. Das habe ich nicht erwartet. Ich dachte, er wäre eingeschnappt. Und jetzt? »Ja«, antworte ich leise, ohne überhaupt zu wissen, ob ich das wirklich will.

Als du dich verliebt hast
    Einmal hat sich meine Mutter ernsthaft verliebt. Das war etliche Jahre nach meinem Vater, nachdem sie diese heftige und schmerzhafte Beziehung verdaut hatte, aus der ich hervorgegangen bin und von der ich so gut wie nichts weiß. Natürlich hatte es danach noch andere gegeben, aber keine war so wichtig wie die mit Alberto.
    Er war Anwalt und nicht nur klug, sondern auch witzig und sehr charmant. Einer von denen, die für alles eine Erklärung haben, wissen, was der Dow Jones ist, sämtliche Fragen aus dem Geschichtsbuch beantworten können, immer eine gute Figur machen und einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Anfangs waren beide vollkommen überwältigt, es schien, als hätten sie endlich ihre andere Hälfte gefunden, die sie bei der Geburt verloren hatten. Noch nie hatte ich meine Mutter so glücklich und mit sich selbst im Reinen gesehen. Wenn sie nicht zusammen waren, hingen sie stundenlang am Telefon, schickten sich SMS , sie waren reiner Sauerstoff, einfach Liebe eben.
    Dennoch stimmte irgendetwas nicht, und ich glaube, meine Großmutter empfand es ähnlich: Sie war stets höflich zu ihm, doch nie vertraulich, sie blieb sozusagen auf Abstand, vielleicht aus Sorge, ihre Tochter könnte abermals wegen des falschen Mannes leiden. Was mich betrifft, kann ich kaum sagen, was mich an ihm nicht überzeugte – ich war noch klein und ging erst in die siebte Klasse –, aber auf mich wirkte er nicht wie einrichtiger Erwachsener und schon gar nicht wie die Väter meiner Freundinnen, obwohl er das gleiche Alter hatte. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, würde ich sagen, er war wie die Jungen aus meiner Klasse, nur doppelt so alt und mit sehr viel mehr Geld.
    Als er nach gut einem Jahr einen leisen Unwillen zu zeigen begann und das, was die große Liebe sein sollte, allmählich zum Schatten ihrer selbst verkam, brach die Hölle los. Die wahre Hölle. Sie machten Schluss und rauften sich wieder zusammen, und diesem Gefühlsballett opferte meine Mutter ihr urinnerstes Wesen: ihre Fröhlichkeit, ihre Lebensfreude – das Schönste, was sie hatte. Wenn sie wieder zusammenkamen, strotzte sie vor Energie und Überschwang, wenn er sie verließ, erkannte man sie nicht wieder. Auch ihre Arbeit als Sekretärin in einer Zahnarztpraxis litt darunter, die einzige, die sich nach zahllosen kurzen Aushilfsjobs in irgendwelchen Schulen gefunden hatte, nachdem sie die Hoffnung, Lehrerin zu werden, endgültig begraben hatte. Mehrmals kam sie zu spät und brachte wichtige Lieferungen durcheinander, bis man sie schließlich bat

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