Der Regen in deinem Zimmer - Roman
einen Wand steht eine niedrige, lange, mit Klamotten zugekramte Truhe. Auf dem Boden liegt ein großer grünrosa Kelim, und hinter dem Bett türmen sich stapelweise Comics. Ohne mir die Jacke auszuziehen, hocke ich mich zögernd auf den Teppich. Ich tue so, als würde ich mich umschauen, um seinem Blick nicht zu begegnen, und denke, dass mit ihm mitzukommen keine so tolle Idee war. Ich sehe zu, wie er sich aus der Jacke schält und die Zigaretten aufs Bett wirft, dann nimmt er etwas von der unteren Couchtischplatte und fragt mich, ob ich Karten spielen kann. Überrascht und erleichtert sehe ich ihn an. »So einigermaßen«, antworte ich grinsend. Es ist sonnenklar, dass das gelogen ist, doch das ist mir egal. » Sette e mezzo ?« – »Okay«, antworte ich und ziehe mir die Jacke aus. Wir fangen an zu spielen. Nebenher frage ich ihn nach der Wohnung und nach Petrit und erfahre, dass er und Gabriele letzten Sommer zusammen auf dem Bau gearbeitet haben, kurz bevor Gabriele nach Griechenland gefahren ist. Er redet von ihm wie von einem großen Freund oder einem Vater. Zu gerne würde ich fragen, wieso er sich mit seinem Vater nicht versteht, aber ich lasse es bleiben. Er hingegen scheint sich ganz auf seine Karten zu konzentrieren, als hätte ich mich auf einmal in einen Kneipenkumpel verwandelt. Der Kuss, der Spaziergang am Meer: futsch.
Nach einer Weile wird ihm klar, dass ich es mit Karten nicht so habe. Ein paarmal verbessert er mich und muss über meine derben Patzer lachen. Ich mag es, wenn er lacht, sein Gesicht sieht ganz anders aus, wie bei meiner Mutter, die wie ausgewechselt schien, wenn sie lachte. Als er zum x-ten Mal dieKarten mischt, protestiere ich und sage, dass ich keine Lust mehr habe, doch er macht unverdrossen weiter. Inzwischen ist das Eis gebrochen, die Stimmung ist entspannt, und ich würde ihn gerne küssen. Aber nur küssen. Lachend lässt er die Karten von einer Hand in die andere gleiten, um mich zu necken. »Dann lass uns was anderes spielen, bitte«, sage ich entnervt und schlage Herzeln vor. Sofort bereue ich es wegen der platten Anspielung. Ein Blödmann würde jetzt eine alberne Bemerkung machen. Gabriele nicht. Er lächelt, aber nur, weil er meint, es sei ein schweres Spiel. »Wie willst du Herzeln spielen, wenn du schon nicht Sette e mezzo kannst«, sagt er kopfschüttelnd. Ich mache ein eingeschnapptes Gesicht und bestehe darauf. Er verteilt die Karten, und es geht los. Bei jeder Runde wird sein Stapel dicker, derweil meiner sich auf wenige Zufallstreffer beschränkt. Ich verliere sämtliche Runden, und nach nur einer knappen halben Stunde fragt er mich, ob ich noch immer glaube, ich könnte spielen. Schnaubend strecke ich die Waffen, reiße ihm das Kartenspiel aus den Händen und werfe es ihm lachend ins Gesicht. Er packt mich bei den Armen, zieht mich an sich, wir kippen auf den Teppich und eine Rangelei aus Küssen und Zärtlichkeiten beginnt. Dann senkt sich Schweigen herab, und man hört nur noch unseren Atem und das Rascheln der Kleider unter unseren Händen.
Als wir voneinander ablassen, ist mein BH offen, das Top hochgerutscht und das Sweatshirt ein Knäuel im Nacken. Gabriele hat sich den Pulli ausgezogen und liegt im T-Shirt da. Ehe noch mehr passieren kann, setze ich mich auf, ziehe das Sweatshirt herunter und sehe ihn an. Er liegt da, den Arm unterm Kopf, und blickt mich mit gleichmütig fragenden Augenan. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, doch es ist klar, dass ich auf das Rumgefummle mit ihm keine Lust mehr habe. Keine Ahnung, was mit mir los ist, auf einmal erscheint mir alles verkehrt: der Spaziergang am Meer, diese Wohnung, aber vor allem Gabriele, der mir jetzt noch fremder ist als vorher. Die Stille ist peinlich, aber nur mir, weil ich am liebsten aufstehen und gehen will. Ihm macht es bestimmt gar nichts aus. Man sieht, dass er keiner von denen ist, die was klarstellen müssen und einem hinterherlaufen. Beklommen sehe ich mich um, doch mein Blick findet nichts, an dem er sich festhalten kann. Instinktiv greife ich nach einem der Comicstapel und nehme eines herunter. »Liest du diesen Kram?«, frage ich und blättere lustlos darin. »Kram?«, fragt er empört zurück, setzt sich auf und reißt mir den Comic aus den Händen. »Dieser KRAM ist dreitausendmal besser als der Scheiß, den wir in der Schule machen. Diese Leute haben echt was drauf, nicht wie die armen Loser, die sich vor die Klasse stellen.« Es ist das erste Mal, dass ich ihn so vehement erlebe.
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