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Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Titel: Der Regen in deinem Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Tür, legt den Helm auf den Boden und schält sich schwerfällig aus der Jacke. Er sieht mich nicht an, sagt kein Wort. Mit jeder seiner Bewegungen ist er ganz bei sich, ich existiere nicht. Schließlich greift er zum Schalter und macht das Licht aus. Ich lege mich wieder hin und warte beklommen. Weshalb bin ich bloß gekommen, die ganze Situation ist völlig absurd. Ich muss verrückt sein. Ich bin verrückt. Ich höre Kleiderrascheln, Schuhe, die in eine Zimmerecke geschleudert werden. Dann streckt er sich auf der anderen Bettseite aus.
    »Ich wusste nicht, wo ich hin sollte«, sage ich leise, und mit meiner Stimme kommt der Mut zurück. »Aber wenn du willst, gehe ich.« Er antwortet nicht, liegt reglos da.
    Draußen hat es angefangen zu regnen, man hört die Tropfen gegen die Scheiben trommeln. Mir wird kalt. Kurzerhand schlüpfe ich unter die Decke, und einen Moment später tut Gabriele dasselbe. Dann dreht er sich zu mir um und nimmt mich in die Arme, ganz sacht, als hätte er Angst, eine falsche Bewegung könnte mich in die Flucht schlagen. Stumm erwidere ich die Umarmung, dankbar für sein Schweigen.
    Würde uns jetzt jemand sehen, hätte er eines dieser Vexierbilder vor Augen: Diese Umarmung sind wir, aber auch etwas anderes, das wir vorher nicht erkannt haben, die Distanz war zu groß. Lange liegen wir eng umschlungen da, dann fangen wir an, uns zu küssen, uns ganz langsam auszuziehen und die Kleider um das Bett zu verteilen.
    Jetzt ist das Bett ein Boot, und die Kleider driften davon. Das Meer, das uns wiegt, ist tintenschwarz und verhüllt Körper und Gesichter. Wir schlafen miteinander wie zwei Fremde,die sich nicht wiedersehen werden, wie zwei Schatten, die sich aus der Dunkelheit gelöst und auf diesem Bett getroffen haben.
    Schließlich bleiben wir Arm in Arm liegen, und als ich gerade einschlafen will, höre ich Gabriele sagen: »Ich habe an dem Tag auf dich gewartet.«

2046
    Ein Film, den meine Mutter besonders liebte, heißt 2046 und ist von einem Regisseur namens Wong Kar-Wai. Es ist ein Film über die Liebe und die Erinnerungen daran. Meine Mutter war ganz verrückt nach solchen seltsamen, wehmutsvollen Filmen. Von diesem hatte sie sich sogar den Soundtrack gekauft.
    Ich weiß, weshalb meine Mutter diesen Film so liebte. Auch sie wartete auf ihre Liebesgeschichte, auf die wahre, die sie niemals vergessen und in ihren Erinnerungen mit der immer gleichen Intensität wieder aufleben lassen würde. Ich glaube, sie sehnte sich nach einem Mann, der sich ohne sie verloren fühlte, der sie stets an seiner Seite haben wollte, wohin er auch ging. Doch dieser Mann hatte sich nie gefunden, und später war nicht mehr die Zeit dazu.
    Wäre sie jetzt hier, würde ich ihr die Augen zuhalten und sie fragen, was ihre Erinnerung von Liebe ist. Ich wäre deren Hüterin, wie der Androide im Film. Aber ich habe keine Geheimnisse, die ich hüten kann.
    Meine Mutter liebte es, mir Filme zu erzählen. Jedes Mal, wenn sie aus dem Kino kam, sagte sie, sie könne mir eine schöne Geschichte erzählen, und während ich ihr zuhörte, las ich in ihren Augen die Sehnsucht nach einem intensiveren, anderen Leben. Während ihres letzten Lebensjahres haben wir viele Filme gesehen. Wir lagen zusammen auf dem Bett, doch von Erschöpfung und Schmerz übermannt, schlief sie immer vor dem Ende ein. Hin und wieder betrachtete ich sie im Schlafund sah den Film alleine zu Ende. Am nächsten Tag foppte ich sie damit, sie sagte, entschuldige, Alessandra, ich war so müde, und dann erzählte ich ihr den Schluss oder ließ sie ihn raten.
    Immer und ewig höre ich noch diesen Satz: Ich war müde, ich bin müde. Damals wusste ich bereits, was er bedeutete. Er bedeutete, dass wir bald nichts mehr zusammen machen würden.
    Ich erinnere mich an einen Nachmittag knapp drei Monate vor der OP, als wir losgingen, um ihr einen neuen Trainingsanzug zu kaufen und sofort wieder umkehren mussten, weil sie plötzlich derartige Schmerzen bekam, dass sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Während eine Verkäuferin ihr die Jacke eines dunkelblauen Trainingsanzuges hinhielt, wurde sie auf einmal kreidebleich. Lächelnd bat sie um einen Stuhl, dann flüsterte sie mir zu: »Alessandra, ruf Nonna an, ich schaffe es nicht.« Ich konnte den Schmerz in ihren Augen sehen, während ihre mageren Hände meinen Arm umklammerten, um sich auf dem Stuhl niederzulassen, und die Verkäuferin eher irritiert als freundlich fragte: »Fühlen Sie sich nicht gut?«

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