Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Titel: Der Regen in deinem Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
ihm erzählen kann. Dann sage ich: »Ich bin froh, dich zu sehen.«
    Er sieht mich wortlos an, wie um zu verstehen, ob ich es ernst meine.
    »Du hast mich nicht mehr angerufen«, sagt er knapp und vergräbt die Hände in den Jackentaschen. »Da dachte ich, du bist wohl mit einem deiner Freunde unterwegs.« Diesmal hält er mit seinem Sarkasmus nicht hinterm Berg und sieht mir direkt in die Augen.
    »Du mich doch auch nicht, also sind wir quitt«, antworteich lahm. Hätte wenigstens einer von uns es getan, wäre ich jetzt nicht in diesem Zustand.
    Er sieht mich an, als spürte er, dass ich ihm etwas verschweige, und mein Herz beginnt zu pochen. Fast will ich ihm die Wahrheit erzählen, doch dann wäre er weg und ich würde ihn nie wiedersehen.
    »Ich bin nicht mit meinen Freunden unterwegs gewesen. Außerdem dachte ich, das ist dir sowieso egal«, murmele ich, ohne ihn anzusehen, als hätte ich ihm soeben kleinlaut gestanden, was ich für ihn empfinde.
    Ein seltsames Schweigen erfüllt das Zimmer. Ich spüre, dass in diesem Moment etwas Bedeutendes zwischen uns geschieht, und es tut mir in der Seele weh, mich dem nicht gänzlich öffnen zu können. Die Angst ist ein leises Gift. Er sieht mich an, als wäge er ab, ob er mir antworten soll. Ob ich es verdiene, ob er mir trauen kann. Eine Weile hört man nur die Geräusche aus der Küche.
    »Was hast du Silvester gemacht?«, frage ich, um das mir unerträglich gewordene Schweigen zu brechen.
    »Ich hab bei Petrit gefeiert, nichts Dolles.« Er zuckt mit den Schultern. »Ich hatte dir eine Nachricht geschickt, um dich zu fragen, ob du Lust hast vorbeizukommen. Ich wusste nicht, dass du was anderes vorhast.« Er klingt verletzt.
    »Ich war zu Hause«, sage ich noch einmal. »Ich war nirgendwo, tut mir leid, wenn du’s nicht glaubst.«
    Er sieht mich unverwandt an, und es ist offensichtlich, dass er die Geschichte mit dem Handy keine Sekunde geschluckt hat. Jäh bricht das Glück über mir zusammen und begräbt mich unter den Trümmern meines hirnverbrannten Leichtsinns.
    »Wenn es mir gut gegangen wäre, wäre ich gekommen. Ich wäre total gerne gekommen, echt«, sage ich in dem verzweifelten Versuch, es wieder gutzumachen.
    Er sieht weg, dann wieder zu mir. »Okay.« Er holt tief Luft. »Dann sehen wir uns in der Schule.«
    »Ich weiß nicht, ob ich noch komme. Vielleicht hast du recht, es bringt nichts.« Meine Stimme zittert. Ich hoffe, er hat es nicht gemerkt.
    »Aber als Maurer hast du keine Chance«, sagt er todernst. Es ist ihm wohl einfach herausgerutscht, denn er scheint kein bisschen zum Scherzen aufgelegt zu sein.
    Ich zucke die Achseln. Am liebsten würde ich aus dem Bett springen und ihm um den Hals fallen und ihm sagen, wie blöd und naiv ich war.
    »Wie lange musst du noch im Bett bleiben?«
    »Ich weiß nicht, vielleicht noch zwei, drei Tage.«
    »Dann sehen wir uns in der Schule. Abgemacht.« Er sieht mich eindringlich an, damit ich kapiere, dass er dort sein und auf mich warten wird.
    »Okay.« Ich versuche zu lächeln, doch die Tränen steigen mir in die Augen.
    Er kommt zum Bett und beugt sich herunter, um mir einen Kuss zu geben. Ich umschlinge seinen Hals, ziehe ihn mit aller Kraft an mich und vergrabe mein Gesicht in seiner Jacke, und plötzlich fange ich wieder an zu zittern. Gabriele hält mich ganz fest und flüstert: »Was hast du?« – »Mir ist kalt. Das ist das Fieber.«
    Als er geht, hole ich das Handy aus der Tasche. Es gibt drei Nachrichten, die von Gabriele und eine von Giovanni. Ich lese Gabrieles: in der ersten lädt er mich für Silvester zu Petrit ein,in der zweiten wünscht er mir ein frohes neues Jahr. Dann fasse ich mir ein Herz und lese Giovannis. »Frohes Neues, Muschikätzchen.« Sofort sehe ich wieder sein Gesicht vor mir, höre seine Stimme, die Widerwärtigkeiten, den Zorn. Ich lasse mich zurückfallen und drücke das Gesicht ins Kissen, um das Schluchzen nicht zu hören, das mich jäh überfällt und einfach nicht aufhören will.

9. Januar
    Als ich zum ersten Mal wieder in die Schule gehe, nimmt mir die Angst den Atem. Ich bin ganz früh da, setze mich sofort auf meinen Platz, schlage die Bücher auf und tue so, als würde ich etwas nachlesen und meine Notizen ins Reine schreiben. Dann zähle ich, wie viele Tage ich noch in die Schule gehen muss: zu viele, um sich dauernd zu verstecken.
    Nach seiner höhnischen SMS hat Giovanni sich nicht mehr gemeldet. Auch Sonia hat mich nach der Szene in der Bar nicht mehr angerufen,

Weitere Kostenlose Bücher