Der Regen in deinem Zimmer - Roman
und im krassen Gegensatz zu der bleiernen Stille stand, die mich umgab. Es schien, als hätte sich die Welt kurz auf den Kopf gestellt und wäre, ehe ich noch begreifen konnte, was passiert war, wieder zur Normalität zurückgekehrt. Ich bin unter die Decke geschlüpft und habe angefangen, lautlos zu weinen und zu zittern, bis ich völlig erschöpft eingeschlafen bin.
Jetzt ist mir kalt, während mein Gesicht glüht. Ich versuche mir die gestrigen Ereignisse ins Gedächtnis zu rufen, doch jedes Mal weigert sich etwas in mir, und ich liege nur starr im Bett wie ein von Scheinwerfern geblendetes Tier, das auf den Aufprall wartet.
Nonna ist leise hereingekommen. Als sie sieht, dass ich wach bin, fragt sie, wie es mir geht. In ihrer Stimme schwingt Besorgnis mit. Ich ziehe mir die Decke über die Ohren, damit sie mein Gesicht nicht sieht, und antworte, ich hätte Fieber.
Sie sieht mich an, setzt sich auf die Bettkante und fragt mich, weshalb ich den Roller samt Tasche und Jacke vor dem Tor stehen gelassen habe. Die Nachbarin hat es entdeckt, als sie heute früh mit dem Hund rausgegangen ist, und hat meiner Großmutter Bescheid gesagt. Als sie den Roller mit all meinen Sachen gesehen hat, ist sie furchtbar erschrocken und hat sofort nachgesehen, ob ich auch wirklich da bin. Doch dann hat sie mich schlafen lassen, was passiert ist, konnte ich ihr auch später erklären, also jetzt. Doch was wirklich passiert ist, kann ich ihr nicht erklären. Im Grunde war es doch meine Schuld, oder? Ich bin schließlich freiwillig mitgegangen.
Sie redet leise, als spürte sie, dass mir etwas Unerfreuliches oder gar Schreckliches zugestoßen ist. Fieberhaft suche ich nach einer Ausrede, doch auf die Schnelle fällt mir nichts Besseres ein, als dass ich Krach mit meinen Freundinnen hatte und wütend abgehauen bin. Ich tue so, als sei ich schlapp und müde und bitte sie, mich noch ein bisschen schlafen zu lassen. Dann drehe ich mich auf die Seite und hoffe, sie hat es geschluckt. Ich merke, dass sie mich noch immer ansieht, spüre ihre geballte Besorgnis. Schließlich steht sie auf und geht wortlos zur Tür. »Heute Nachmittag kommt Claudia, dann könnt ihr vielleichtein bisschen reden.« Ich hebe den Kopf aus dem Kissen. »Hast du sie angerufen?« Sie schüttelt den Kopf und sagt, Claudia habe gestern Abend angerufen, um zu wissen, was wir Silvester machen. Ich weiß, dass sie lügt, bestimmt hat sie sie angerufen, als sie all mein Zeug auf der Straße gesehen hat. Es ist mir egal, ich bin froh, dass Claudia kommt, das bringt mich auf andere Gedanken. »Und was hast du ihr gesagt?«, frage ich und krieche wieder unter die Decke. »Nichts, ich hab ihr gesagt, dass du wohl was mit deinen Freunden unternimmst.« Ihr Blick löst sich von mir und wandert zum Schreibtisch. »Ich glaube, ich habe Fieber«, sage ich plötzlich. »Kannst du mir eine Aspirin bringen?« Sie nickt seufzend. Ich weiß, woran sie denkt, denn ich denke an das Gleiche, wenn auch aus einem anderen Grund: Ich denke an meine Mutter, weil ich Angst habe; sie, weil sie glaubt, nicht genug Kraft zu haben, um all das hier zu stemmen.
Nach der Aspirin falle ich in tiefen Schlaf. Als ich aufwache, ist es zwei Uhr nachmittags, doch Claudia ist noch nicht da. Ich fühle mich schlapp, meine Muskeln schmerzen, vor allem aber tut der Faustschlag in den Magen weh. In jeder Hinsicht. Mühsam stütze ich mich auf die Ellenbogen und sehe meine Tasche auf dem Schreibtischstuhl stehen. Ich hole das Handy raus: Keine Nachricht. Besser so, denke ich, obwohl ich weiß, dass das nicht stimmt und ich nach dieser Nacht nicht mehr den Mut habe, Gabriele anzurufen. Nach dieser Nacht frage ich mich, wozu ich überhaupt noch Mut habe. Allein der Gedanke, wieder in die Schule zu gehen und Giovanni zu sehen, versetzt mich in Panik. Wem könnte ich davon erzählen? Und was überhaupt? Niemand hat uns gesehen, niemand weiß, dassich mit ihm ausgegangen bin, und vermutlich hat auch niemand mitgekriegt, wie er meinen Roller zurückgebracht hat. Ich fühle mich hilflos, schutzlos, gelähmt vor Angst. Ich werde eine Ausrede erfinden, ich gehe nicht mehr in die Schule, bis das Jahr zu Ende ist.
Wenn du hier wärst, würdest du mich ins Kreuzverhör nehmen und sämtliche meiner Klassenkameradinnen anrufen, um zu erfahren, was los ist. Wenn du hier wärst, würde ich nicht wie erstarrt unter dieser Decke aus Angst liegen. Verzweifelt und ohnmächtig lasse ich mich zurück in die Kissen fallen.
Claudia
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