Der Regen in deinem Zimmer - Roman
will. Er glaubt wohl, es hätte niemand bemerkt, doch als er Gabriele gesehen hat, ist mir das leichte Flattern seiner Lider nicht entgangen.
»Keine Ahnung.« Gabriele starrt ihn unverwandt an. »Deshalb frage ich ja. Denn wenn’s ein Problem gibt, können wir drüber reden. Aber nur wir zwei, unter Freunden.« Er betont das letzte Wort.
»Ich hab sie nur gefragt, ob sie Sonia gesehen hat, stimmt’s?« Giovanni dreht sich zu mir um, unter seinem drohenden Blick fühle ich mich wie ein Tier in der Falle. Es ist klar, dass er mir die Antwort soeben vorgegeben hat.
Ich nicke und schlucke und überlege fieberhaft, ob Gabrieles Eingreifen alles besser oder schlimmer macht. »Ja, genau, es gibt kein Problem.«
Sie funkeln sich noch einen Moment lang an, dann geht Giovanni grüßend und mit selbstgefälliger Miene davon. »Arschloch«, knurrt Gabriele. Dann dreht er sich zu mir um, zieht ein Päckchen Zigaretten hervor und nimmt eine heraus.
»Was wollte der von dir?«, fragt er eisig.
»Sonia«, antworte ich matt und weiche seinem Blick aus, »er hat mich nach Sonia gefragt.« Ich bücke mich nach dem Rucksack.
Kopfschüttelnd wirft Gabriele die angerauchte Zigarette weg. »Aber klar, natürlich, Sonia«, sagt er mit einem gequälten Grinsen und atmet scharf ein. »Wie du meinst …« Dann geht er davon.
Während ich ihm nachsehe, sind mir zwei Dinge sonnenklar: Erstens, Gabriele ist der Einzige, der mich wirklich beschützenkann, und zweitens, ich kann ihm nichts erzählen. Ich setze den Helm auf und rase verängstigter denn je nach Hause, auch wenn es gut war, Giovanni in die Flucht geschlagen zu sehen.
Am Nachmittag versuche ich mich aufs Lernen zu konzentrieren. Am liebsten würde ich Gabriele anrufen, doch ich verkneife es mir: Um ihm was zu sagen? Um ihn weiter zu belügen? Von ihm noch nicht einmal eine SMS . Was mich umtreibt, ist nicht, dass er auf mich sauer ist, sondern dass er es ist, weil er meint, zwischen Giovanni und mir liefe was und ich verarsche ihn.
Ich greife nach dem Handy und lese die beiden Nachrichten, die er mir zu Silvester geschickt hat, als könnte ich plötzlich etwas herauslesen wie »Du fehlst mir«, irgendetwas, das über »Frohes neues Jahr« und »Kommst du heute Abend zu Petrit?« hinausgeht. Wieso bin ich so blöd gewesen? Wieso?
Kaum ist Nonna einkaufen, gehe ich in das Zimmer meiner Mutter und setze mich auf den grünen Sessel. Lange sitze ich da und starre auf den leeren Platz im Bett.
10. Januar
Heute während der Pause ist Giovanni in die Klasse gekommen. Er hat mit Sonia geredet, doch mir war klar, dass er wegen mir da war. Gabriele war schon draußen beim Rauchen, womöglich hatte Giovanni genau darauf gewartet. Als Sonia ihn gesehen hat, haben ihre Wangen wieder Farbe bekommen, derweil mir das Blut aus jedem Zentimeter meines Körpers gewichen ist. Irgendwann bin ich aufgestanden und rausgegangen, doch auf halben Wege zwischen Klassenzimmer und Toiletten hat er mich eingeholt, beim Arm gepackt und Richtung Hausmeisterbüro am Ende des Flurs gezerrt, möglichst weit weg von der Treppe, damit Gabriele uns bei seiner Rückkehr nicht sehen konnte.
»Wehe, du erzählst es irgendjemandem, verstanden?«, hat er mich angefaucht, während er mich grob gegen die Wand drückte. »Wehe dir! Und außerdem, wer würde dir schon glauben?« Dann hat er mich losgelassen und ist weggegangen.
Es ging alles so schnell, dass ich nur meine Panik spürte. Feuchte Augen und rasender Herzschlag.
Als ich aufblickte, um sicherzugehen, dass er weg ist, ist Gabriele auf der Treppe am Flurende aufgetaucht. Giovanni lief ihm direkt in die Arme, und als sie auf gleicher Höhe waren, hat Gabriele ihn so heftig angerempelt, das Giovanni gegen die Wand geknallt ist. Alle haben es gesehen, und einen Moment lang herrschte auf dem Flur gespenstische Stille. Gabriele ist einfach weiter in meine Richtung gegangen, hat mir einen vernichtendenBlick zugeworfen und ist auf der Toilette verschwunden. Giovanni hat sich nur umgedreht und ihm nachgestarrt. Er hielt sich seine Schulter und funkelte mich an, als hätte er mich am liebsten windelweich geprügelt. Doch stattdessen hat er sich in seine Klasse verzogen. Auch ich bin in die Klasse zurückgerannt, zu meinem Platz gestürzt und habe versucht, meine Angst in den Griff zu kriegen. Als Gabriele hereinkam, haben wir kein Wort gewechselt. Ich spürte, er war außer sich vor Wut, und es war mir unerträglich, dass alles nur meine Schuld war. Als die
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