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Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Der Regen in deinem Zimmer - Roman

Titel: Der Regen in deinem Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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doch das ist das kleinere Übel, denn als sie kommt, ist sofort klar, dass sie mir völlig gleichgültig ist, genau wie die anderen. Es stimmt: Wenn man in ernsten Schwierigkeiten steckt, wird der Rest unwichtig. Sonia wirkt noch angespannter als sonst. Sie hat Silvia kaum gegrüßt, und als Ilaria kommt und sich neben sie setzt, sehen sie sich nicht an. Wer weiß, was an dem Abend noch passiert ist und weshalb sie sich gezofft haben. Schön, da fühle ich mich gleich besser, nicht mehr mitten im Auge des Sturms. Divide et impera.
    Als Gabriele kommt, begrüßen wir uns richtig, und das zum ersten Mal, seit wir zusammensitzen. Ein kräftiges Ciao, das alle hören und das sehr viel weniger Überraschung hervorruft als erwartet. Ein paar drehen sich um und sehen uns an, als wären wir ein Möbelstück oder Fensterglas. Kein Gekicher, kein Geflüster. Nichts. Der Rest des Schultages verläuft ganz nach Plan. Ich schreibe mit, er zeichnet, und ich sehe zu, wie sich seine Hände übers Papier bewegen, seine Finger den Stifthalten. Ich bin davon so fasziniert, dass ich ihn am liebsten umarmen würde. Wie zufällig berühre ich sein Bein mit dem Knie und als er innehält und mir unterm Tisch übers Bein streichelt, laufe ich knallrot an. Die Stimme der Lehrerin erreicht mich nur gedämpft, als fände der Unterricht auf dem Flur statt; ich lasse alles sein: zuhören, schreiben, mitdenken. Ich vergesse selbst die Angst, mit der ich in die Schule gekommen bin und wieder nach Hause gehen werde. Ich schließe kurz die Augen und stelle mir vor, wie ich ihm alles erzähle, wie es wäre, wenn ich es wirklich tun könnte. Doch das kann und will ich nicht. Er würde mir nicht glauben und nichts mehr mit mir zu tun haben wollen. Wer könnte ihm das verübeln? Mir ginge es genauso.
    In der Pause rühre ich mich nicht vom Fleck, Gabriele geht rauchen und sagt beim Aufstehen kein Wort. Auch in Ordnung, die Geste von vorhin genügt mir. Lachend und redend stehen die Mädchen am Fenster. Nur Sonia und ich sind im Abseits. Heute tut sie mir fast ein bisschen leid. Bestimmt hat sie sich letzten Sommer bei Giovanni nicht so geziert und vielleicht hat es ihr wirklich gefallen, doch mir wird schon beim Gedanken daran übel. Für so einen ist Zärtlichkeit ein Fremdwort. Was Sonia wohl sagen würde, wenn sie es wüsste, sicher würde sie sauer werden und ihn verteidigen. Du hast es doch drauf angelegt, würde sie sagen, und vielleicht hat sie recht.
    Als der Unterricht weitergeht, versuche ich mich wieder auf Gabrieles Hände zu konzentrieren, doch diesmal funktioniert der Trick nicht, immer wieder muss ich an nachher denken, wenn ich hier raus muss und womöglich Giovanni über den Weg laufe. Während der Pause habe ich nicht ein Mal zur Tür geschaut; ich habe keine Ahnung, was er vorhat, doch seineNachricht verheißt nichts Gutes. Wenn ich an dieses widerliche, demütigende »Muschikätzchen« denke, ist mir klar, dass ihm sein Spieltrieb noch nicht vergangen ist. Ich habe ein Problem.
    Als es nach der letzten Stunde klingelt, will ich nur so schnell wie möglich weg und nach Hause. Mit einem hastigen Ciao verabschiede ich mich von Gabriele und renne, ohne eine Antwort abzuwarten, zur Tür. Draußen will ich mir gerade mit zitternden Händen den Helm aufsetzen, da taucht in meinem Augenwinkel ein Schatten auf, und ich drehe mich um. Ich weiß nicht, wieso, doch selbst in meiner Angst habe ich gedacht, es wäre Gabriele. Mein Lächeln erstirbt, als ich Giovanni vor mir sehe.
    Sein Gesichtsausdruck ist nicht zu deuten. Er mustert mich ruhig und abwartend. Sein hypnotischer Blick ist unergründlich, starr und wachsam wie bei einem Reptil. Ich schlucke und weiche instinktiv zwei Schritte zurück; meine Lippen verziehen sich zu einem zitternden Lächeln, während mir der Rucksackriemen aus der Hand rutscht. Wieso? Wieso fange ich nicht an zu schreien? Ich bin erschreckend klar und verwirrt zugleich.
    »Neulich Abend ist nichts passiert. Du hältst den Mund, verstanden?«, zischt er mir ins Gesicht.
    Stumpf nickend glotze ich ihn an und kann nur mühsam die Tränen zurückhalten. Er will gerade noch etwas sagen, als Gabriele hinter ihm auftaucht und den bösen Zauber bricht.
    »Gibt’s ein Problem?«
    Giovanni zuckt zusammen und fährt herum. Gabriele, der mindestens eine Handbreit größer ist als er, mustert ihn kalt von oben herab.
    »Was für ein Problem?« In Giovannis Stimme liegt die Dreistigkeit eines Menschen, der seine Angst verbergen

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