Der Regen in deinem Zimmer - Roman
Lehrerin hereinkam, bin ich zu ihr und habe gesagt, ich fühlte mich nicht wohl und würde gerne nach Hause. »Du bist tatsächlich ein bisschen blass«, hat sie gesagt und mich gehen lassen. Hastig habe ich meine Sachen zusammengerafft und bin, ohne ihn anzusehen, raus.
11. Januar
Heute bin ich zur Schule gefahren, doch im letzten Moment habe ich es mir anders überlegt. Ich habe den Vormittag damit zugebracht, die Prepaid-Karte, die mir Angela und Claudia zu Weihnachten geschenkt haben, bis zum letzten Cent zu verpulvern. Als ich wieder nach Hause kam, habe ich die Tüten in der Garage versteckt und erst geholt, als sich Nonna zum Mittagsschlaf hingelegt hatte. Hätte sie all die Tüten gesehen, hätte sie mich ordentlich in die Zange genommen und ich hätte ihr beichten müssen, dass ich nicht in der Schule war.
Ich habe wunderschönes Zeug gekauft, das ich nie anziehen werde: ein Paar hochhackige Peeptoes, ein hautenges Wolle-Seide-Kleid und einen puderfarbenen Foulard. Ich ziehe alles an und betrachte mich im Spiegel: Ich sehe mindestens zehn Jahre älter aus. Wie eine dieser schicken, eleganten jungen Frauen, denen ich bis vor einem Jahr ähnlich sein wollte. Ich kann noch nicht einmal sagen, ob ich mir gefalle oder nicht. Es ist, als würde ich mich selbst nicht mehr erkennen. Das Kleid geht mir bis knapp über die Knie, und die Schuhe sind so hoch, dass ich beim Gehen mit den Hüften wackeln muss. Für wen habe ich diesen Kram gekauft? Ich stopfe alles wieder in die Tüten und schiebe sie unters Bett, als wären es Sachen für die Altkleidersammlung. Brennende Traurigkeit schnürt mir die Brust zusammen, also überwinde ich meine Angst, gehe ins Schwimmbad und bleibe so lange, bis die Erschöpfungmich aus dem Wasser treibt. Zu Hause schlüpfe ich in den Pyjama und falle ins Bett. Das Letzte, woran ich denke, ehe der Schlaf mich übermannt, ist, dass ich auf der Flucht in einem Käfig lebe.
13. Januar
Nach zwei Tagen bin ich wieder in die Schule gegangen. Gestern früh um acht stand überraschend Angela vor der Tür, und Nonna meinte, es sei wohl nicht schlimm, wenn ich einen Tag schwänzte. Dass ich den Tag davor auch nicht da war, hat sie offenbar nicht mitbekommen. Beim Frühstück in der Bar hat Angela mich gefragt, ob alles in Ordnung sei, und nach einem Bummel durch die Stadt sind wir nach Hause gegangen und haben den ganzen Vormittag mit Nonna geschwatzt. Zum Mittagessen hat sie uns in ein neues Restaurant eingeladen, und nachmittags haben wir beide einen langen Spaziergang am Meer gemacht. Ich habe ihr gesagt, wie froh ich bin, dass sie da ist. Sie hat geantwortet, ich müsse nur einen Ton sagen, und in null Komma nichts sei sie bei mir, und ich könne zu ihr kommen, wann immer ich wolle. Ich habe sie umarmt und mich gleich besser gefühlt. Heute ist sie ganz früh wieder gefahren, meinte aber, in ein paar Tagen sei sie wieder da. Ich hab mich schrecklich gefreut. Jetzt fühle ich mich weniger einsam, weniger traurig. Angela ist vielleicht nicht ganz so einnehmend wie Claudia, weil sie schüchterner ist, aber dafür unglaublich umsichtig, was mir fast noch ein bisschen lieber ist: Sie könnte eine Uhr bis aufs letzte Schräubchen auseinandernehmen und fehlerlos wieder zusammensetzen. Das ist beruhigend, vor allem jetzt.
Dafür ist Gabriele heute nicht da, und ich habe sofort Paranoia gekriegt, dass er von mir nichts mehr wissen will. Auch ich habe mich nicht mehr gemeldet, mir fehlte der Mut.
Während die Italienischlehrerin vom Abi redet und davon, wie die schriftliche Arbeit auszusehen hat, ist das Einzige, was mich erreicht, diese dumpfe Einsamkeit, die noch tiefer sitzt als die Angst und mich vollkommen niederdrückt. In der Pause laufe ich auf dem Flur Giovanni über den Weg, doch zu meinem großen Erstaunen guckt er mich nicht einmal an. Ich drehe mich um, um sicherzugehen, dass nicht Gabriele oder irgendein Lehrer hinter mir steht. Während des Unterrichts kann ich an nichts anderes denken: Ob er wohl endgültig beschlossen hat, mich in Ruhe zu lassen? Ich bin dermaßen erleichtert, dass ich fast so etwas wie Glück empfinde, und mir steigen die Tränen in die Augen.
Auf dem Weg aus der Schule passiert das Gleiche. Ich gehe die Treppe hinunter und da ist er. Keine Reaktion, als gäbe es mich nicht. Als würde er mich gar nicht kennen und hätte mich noch nie gesehen. Mir rutscht das Herz in die Knie: Vielleicht will er mich irgendwo allein abpassen?
Auf dem Weg nach Hause schießen mir
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