Der Regenmacher
ich habe gesagt, Sie wären beschäftigt, und deshalb habe ich für Sie unterschrieben.«
Dafür unterschreiben ist eine Sache, den Brief öffnen eine ganz andere.
»Sie hätten ihn nicht öffnen dürfen«, sage ich, aber nicht wirklich böse. Es ist unmöglich, in einem solchen Moment wütend zu sein.
»Tut mir leid. Ich dachte, Sie hätten nichts dagegen. Aber ist es nicht aufregend?«
Das ist es in der Tat. Ich schwebe in die Küche, grinse wie ein Schwachkopf, atme in großen Zügen die von der Last befreite Luft ein. Alles ist wunderbar. Was für eine großartige Welt!
»Das muß gefeiert werden«, sagt sie mit einem verschmitzten kleinen Lächeln.
Sie greift in den hintersten Winkel eines Schrankes, tastet herum, lächelt und holt schließlich langsam eine merkwürdig geformte Flasche heraus. »Die habe ich für besondere Anlässe aufgehoben.«
»Was ist das?« frage ich und nehme die Flasche. So etwas habe ich bei Yogi’s noch nie gesehen.
»Melonenlikör. Ziemlich starkes Zeug.« Sie gibt ein Kichern von sich. In diesem Augenblick würde ich alles trinken. Sie findet zwei zusammen passende Kaffeetassen – in diesem Haus wird sonst nie Alkoholisches ausgeschenkt – und gießt sie halb voll. Die Flüssigkeit ist dick und klebrig. Der Geruch erinnert mich an irgendwas beim Zahnarzt.
Wir bringen einen Toast auf mein Glück aus, stoßen mit unseren Bank-of-Tennessee-Tassen an und nehmen einen Schluck. Das Zeug schmeckt wie Hustensirup für Kinder und brennt wie hochprozentiger Wodka. Sie leckt sich schmatzend die Lippen und sagt dann: »Wir sollten uns lieber hinsetzen.«
Nach ein paar Schlucken schnarcht Miss Birdie auf dem Sofa. Ich stelle den Fernseher leise und gieße mir eine weitere Tasse ein. Es ist immerhin ein ziemlich starkes Gesöff, und nach dem ersten Schock haben sich die Geschmacksnerven einigermaßen daran gewöhnt. Noch immer lächelnd, setze ich mich damit auf die mondbeschienene Terrasse und schaue voller Dankbarkeit über diese herrliche Nachricht zum Himmel empor.
Die Nachwirkungen des Melonenlikörs sind bis lange nach Sonnenaufgang zu spüren. Ich dusche und schleiche mich aus der Wohnung zu meinem Wagen. Dann fahre ich im Rückwärtsgang die Auffahrt hinunter, bis ich die Straße erreicht habe.
Ich bin auf dem Weg in ein Yuppie-Cafe, wo es Bagels gibt und jeden Tag eine andere Kaffeemischung empfohlen wird. Ich kaufe mir eine dicke Sonntagszeitung und setze mich damit an einen Tisch im Hintergrund. Einige Themen interessieren mich besonders.
Zum viertenmal hintereinander ist die Titelseite voll von Belichten über das Raddampferunglück. Einundvierzig Teenager sind dabei ums Leben gekommen. Die Anwälte haben bereits begonnen, Klagen einzureichen.
Das zweite, diesmal im Lokalteil, ist die neueste Folge von kritischen Berichten über Korruption bei der Polizei im allgemeinen und die Beziehungen zwischen der Oben-ohne-Branche und den Gesetzeshütern im besonderen. Bruisers Name kommt auch ein paarmal vor, als Anwalt von Willie McSwane, einem der Bosse des organisierten Verbrechens, und ebenfalls als Anwalt von Bennie Thomas, auch Prince genannt, einem Gaststättenbesitzer hier in der Stadt, gegen den die Bundesbehörden nicht zum erstenmal ermitteln. An anderer Stelle wird Bruiser selber als Verdächtiger genannt.
Ich kann den Zug geradezu kommen hören. Die Geschworenenkammer tagt nun schon seit einem Monat ununterbrochen. Fast täglich stehen Berichte darüber in der Zeitung. Deck wird immer nervöser.
Das dritte ist eine totale Überraschung. Auf der letzten Seite des Wirtschaftsteils findet sich ein kleiner Artikel mit der Überschrift: ANWALTSEXAMEN – 161 ERFOLGREICH BESTANDEN. Es folgt eine drei Absätze lange Verlautbarung des Prüfungsausschusses, dann – in sehr kleinem Druck – eine alphabetische Liste all derer, die das Examen bestanden haben.
Ich halte mir die Zeitung dichter vor die Augen und lese aufgeregt. Da bin ich! Es stimmt. Es ist nicht nur ein Irrtum irgendeiner Sekretärin. Ich habe das Anwaltsexamen bestanden! Ich überfliege die Namen, von denen ich viele drei Jahre lang gut gekannt habe.
Ich suche nach Booker Kane, aber sein Name steht nicht da. Ich schaue ein zweites und dann noch ein drittes Mal hin, und meine Schultern sacken herunter. Ich lege die Zeitung auf den Tisch und lese laut sämtliche Namen. Kein Booker Kane.
Gestern abend hätte ich ihn fast angerufen, nachdem Miss Birdies Gedächtnis wieder zum Leben erwacht war und sie mir die
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