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Der Regenmacher

Der Regenmacher

Titel: Der Regenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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würden morden für diesen Fall. Sie wollen nur ein Drittel vom Erlös.
    Deck registriert das alles, bevor ich überhaupt begriffen habe, was da vor sich geht. Er deutet mit einem Kopfnicken auf eine Stelle näher bei den trauernden Familien, aber ich denke nicht daran, mich zu bewegen. Er schleicht sich davon in die Menge und verschwindet rasch in der Dunkelheit, um seine Goldmine auszubeuten.
    Ich kehre dem Fluß den Rücken, und wenig später renne ich durch die Straßen der Innenstadt von Memphis.

22
    Der Juristische Prüfungsausschuß verschickt die Ergebnisse des Anwaltsexamens per Einschreiben. In der Fakultät kursieren Geschichten von Leuten, die sich keinen Schritt von ihrem Briefkasten weggerührt haben und dann zusammengebrochen sind. Andere sollen wie die Blöden ihren Brief über dem Kopf schwenkend durch die Straßen getobt sein. Früher hat man über solche Geschichten gelacht, jetzt kann ich nichts Komisches mehr daran finden.
    Dreißig Tage ist es jetzt her, und immer noch kein Brief. Ich habe meine Privatadresse angegeben, weil ich ganz sicher sein wollte, daß niemand in Bruisers Kanzlei den Brief öffnet.
    Der einunddreißigste Tag ist ein Samstag, und ich darf tatsächlich bis neun schlafen, bevor meine Sklaventreiberin mit einem Malerpinsel an meine Tür klopft. Sie hat ganz plötzlich beschlossen, daß die Garage unter meiner Wohnung gestrichen werden muß, obwohl ich finde, daß sie noch recht gut aussieht. Sie lockt mich mit der Neuigkeit aus dem Bett, daß sie bereits Eier und Speck zubereitet hat, und die werden nun kalt, also beeilen Sie sich.
    Die Arbeit läuft gut. Beim Streichen sieht man sofort recht erfreuliche Ergebnisse. Man merkt, daß man vorankommt. Die Sonne hat sich hinter dichtgetürmten Wolken verkrochen, und ich arbeite bestenfalls gemächlich.
    Um sechs verkündet Miss Birdie, daß es Zeit zum Aufhören sei, ich hätte genug gearbeitet und könnte mich auf eine ganz besondere Überraschung zum Abendessen freuen – sie wird uns eine vegetarische Pizza machen!
    Ich habe vorige Nacht bis eins bei Yogi’s gearbeitet und verspüre vorerst keine Lust, dorthin zurückzukehren. Also habe ich an diesem Samstagabend nichts zu tun. Und was noch schlimmer ist – ich habe nicht einmal daran gedacht, irgend etwas zu unternehmen. Traurig, aber wahr: Die Vorstellung, mit einer Achtzigjährigen eine vegetarische Pizza zu essen, ist für mich ziemlich verlockend.
    Ich dusche und ziehe eine leichte Hose und Turnschuhe an. Als ich das Haus betrete, kommt ein merkwürdiger Geruch aus der Küche. Miss Birdie fuhrwerkt darin herum. Sie hat noch nie eine Pizza gemacht, erklärt sie mir, als sollte es mich freuen, das zu hören.
    Sie ist nicht schlecht. Die Zucchini und der gelbe Paprika sind nicht ganz gar, aber sie hat eine Menge Ziegenkäse und Pilze drauf gepackt. Und ich bin halb verhungert. Wir essen im Wohnzimmer und sehen uns dabei einen Film mit Cary Grant und Audrey Hepburn an. Sie weint fast während des ganzen Films.
    Der zweite Film ist mit Bogart und Bacall, und mein Muskelkater setzt ein. Ich bin dem Einschlafen nahe. Miss Birdie dagegen sitzt auf der Sofakante und lauscht atemlos jedem Wort eines Films, den sie seit fünfzig Jahren kennt.
    Plötzlich springt sie auf. »Ich hab was vergessen!« ruft sie und eilt in die Küche, wo ich sie mit Papieren rascheln höre. Sie kommt mit einem Blatt ins Wohnzimmer zurück, bleibt vor mir stehen und verkündet dramatisch: »Rudy! Sie haben das Examen bestanden!«
    Sie hält ein einzelnes Blatt weißes Papier hoch, und ich reiße es ihr fast aus der Hand. Es kommt vom Juristischen Prüfungsausschuß von Tennessee, ist natürlich an mich adressiert, und auf der Mitte der Seite stehen die majestätischen Worte: »Herzlichen Glückwunsch. Sie haben das Anwaltsexamen bestanden.«
    Ich wirbele herum und sehe Miss Birdie an, und für den Bruchteil einer Sekunde hätte ich ihr für dieses unverschämte Eindringen in meine Privatsphäre am liebsten einen Schlag ins Gesicht versetzt. Sie hätte es mir schon früher sagen müssen, und natürlich war sie nicht befugt, meinen Brief zu öffnen. Aber ihre sämtlichen grauen und gelben Zähne sind zu sehen. Sie hat Tränen in den Augen und die Hände vor dem Gesicht, sie ist fast so selig, wie ich es bin. Mein Zorn weicht rasch einem totalen Glücksgefühl.
    »Wann ist er gekommen?« frage ich.
    »Heute, während Sie beim Streichen waren. Der Postbote hat bei mir angeklopft und nach Ihnen gefragt, aber

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