Der Regenmacher
Krankenhausnachthemd, mit einem blauen Fleck im Gesicht und ohne Make-up. Jetzt ist es mir unmöglich, die Augen von ihrem Gesicht abzuwenden. Sie trägt ein weißes, leicht gestärktes Baumwollhemd von der Art, die Studentinnen gern von ihren Freunden ausleihen, und aufgekrempelte Khaki-Shorts. Das dunkle Haar fällt ihr über die Schultern.
»Ist er gut?« frage ich.
»Ein Arzt wie andere auch.«
»Waren Sie schon einmal bei ihm?«
»Hören Sie auf, Rudy. Darüber rede ich nicht. Sie sollten besser verschwinden.« Ihre Stimme ist leise, aber bestimmt.
»Wissen Sie, darüber habe ich nachgedacht. Ich habe sogar eine Menge Zeit damit verbracht, über Sie nachzudenken und darüber, was ich tun sollte.« Ich halte inne, weil ein Mann in einem Rollstuhl vorbeirollt.
»Und?« sagt sie.
»Ich weiß es immer noch nicht.«
»Ich meine, Sie sollten aus meinem Leben verschwinden.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst?«
»Doch, das ist es.«
»Ist es nicht. Sie wollen, daß ich in Ihrer Nähe bleibe, mit Ihnen Verbindung halte, Sie hin und wieder anrufe, damit Sie, wenn er Ihnen das nächste Mal ein paar Knochen bricht, jemanden haben, der sich um Sie sorgt. Das ist es, was Sie wollen.«
»Es wird kein nächstes Mal geben.«
»Warum nicht?«
»Weil er jetzt anders ist. Er versucht, mit dem Trinken aufzuhören. Er hat versprochen, daß er mich nicht wieder schlagen wird.«
»Und Sie glauben ihm?«
»Ja, das tue ich.«
»Das hat er früher auch schon versprochen.«
»Weshalb gehen Sie nicht? Und rufen Sie mich nicht an, okay? Das macht alles nur noch schlimmer.«
»Wieso? Weshalb macht das alles nur noch schlimmer?«
Sie zögert eine Sekunde, läßt die Zeitschrift in ihren Schoß sinken und sieht mich an. »Weil ich, je mehr Zeit vergeht, um so weniger an Sie denke.«
Es ist wirklich erfreulich zu wissen, daß sie an mich gedacht hat. Ich greife in die Tasche und hole eine Visitenkarte heraus, eine mit meiner alten Adresse, der, die jetzt von verschiedenen Behörden der Regierung der Vereinigten Staaten abgesperrt und versiegelt worden ist. Ich schreibe meine Telefonnummer auf die Rückseite und gebe sie ihr. »Abgemacht. Ich werde Sie nicht wieder anrufen. Falls Sie mich brauchen sollten, das ist meine Privatnummer. Wenn er Ihnen etwas antut, will ich es erfahren.«
Sie nimmt die Karte. Ich küsse sie schnell auf die Wange, dann verlasse ich das Wartezimmer.
Im sechsten Stock des gleichen Gebäudes befindet sich eine große Onkologenpraxis. Dr. Walter Kord ist Donny Rays behandelnder Arzt, was zu diesem Zeitpunkt bedeutet, daß er ihm ein paar Tabletten und andere Medikamente verschreibt und darauf wartet, daß er stirbt. Kord hat die anfängliche Chemotherapie veranlaßt und die Tests vorgenommen, die ergaben, daß Ron Black für eine Knochenmarkstransplantation bei seinem Zwillingsbruder der ideale Spender gewesen wäre. Beim Prozeß wird er ein wichtiger Zeuge sein, vorausgesetzt, daß es überhaupt dazu kommt.
Ich lasse einen drei Seiten langen Brief bei seiner Empfangsdame. Ich würde mich gern mit ihm unterhalten, wann es ihm paßt und, wenn es geht, ohne dafür eine Rechnung zu bekommen. In der Regel hassen Ärzte Anwälte und lassen sich Gespräche mit ihnen teuer bezahlen. Aber Kord und ich stehen auf derselben Seite, und ich habe nichts zu verlieren, wenn ich versuche, mit ihm ins Gespräch zu kommen.
Ich habe ein sehr ungutes Gefühl, während ich, ohne besonders auf den Verkehr zu achten, diese Straße in dieser rauhen Gegend der Stadt entlangrolle und vergeblich versuche, die verblichenen und abblätternden Hausnummern über den Türen zu lesen. Die Gegend sieht aus, als wäre sie früher aus guten Gründen aufgegeben worden, befände sich jetzt aber in einer Art von erneutem Aufschwung. Die Häuser sind alle zwei oder drei Stockwerke hoch und haben Ziegelstein-und Glasfronten. Die meisten grenzen direkt aneinander, einige wenige sind durch schmale Gassen getrennt. Viele sind immer noch vernagelt, ein paar vor Jahren ausgebrannt. Ich passiere zwei Restaurants, eines mit Tischen auf dem Gehsteig unter einer Markise, aber ohne Gäste, eine Reinigung, einen Blumenladen.
Das Antiquitätengeschäft befindet sich in einem halbwegs sauber aussehenden Eckhaus aus dunkelgrau gestrichenen Ziegelsteinen und mit roten Markisen über den Fenstern. Es gibt zwei Stockwerke, und als mein Blick zum ersten Stock emporwandert, habe ich vermutlich mein neues Zuhause gefunden.
Weil ich keine andere Tür
Weitere Kostenlose Bücher