Der Regenmacher
Vorsitz hat der Ehrenwerte Tyrone Kipler. Er hat mir gestern am Telefon gesagt – wir telefonieren in letzter Zeit häufig miteinander -, daß dies sein erster Tag im Amt sein wird. Er hat ein paar Anordnungen unterschrieben und einige andere kleine Routinejobs erledigt, aber dies ist die erste Verhandlung, bei der er präsidieren wird.
Am Tag, nachdem Kipler vereidigt worden war, hat Drummond den Antrag gestellt, den Fall an ein Bundesgericht zu überweisen. Er behauptet, Bobby Ort, der Agent, der den Blacks die Police verkauft hat, wäre völlig zu Unrecht als Beklagter aufgeführt worden. Wir vermuten, daß Ort nach wie vor in Tennessee ansässig ist. Er ist einer der Beklagten. Die Blacks, gleichfalls in Tennessee ansässig, sind die Kläger. Eine Klage ist nur dann Sache des Bundesgerichts, wenn die Prozeßparteien ihren Wohnsitz in verschiedenen Staaten haben. Auf Ort trifft das nicht zu, da er, wie wir annehmen, hier lebt, und schon deshalb ist das Bundesgericht für diesen Fall absolut nicht zuständig. Um die Behauptung zu untermauern, daß Ort nicht zu den Beklagten gehören sollte, hat Drummond einen dicken Schriftsatz eingereicht.
Solange Harvey Hale den Vorsitz hatte, war das Bezirksgericht der ideale Ort, um Gerechtigkeit zu suchen. Aber nachdem nun Kipler den Fall übernommen hat, kann man offenbar nur vor einem Bundesgericht nach Wahrheit und Gerechtigkeit suchen. Das wirklich Verblüffende an Drummonds Antrag war das Timing. Kipler empfand die Sache als persönlichen Affront. Ich pflichtete ihm von ganzem Herzen bei.
Jetzt warten wir alle nur noch darauf, unsere diversen Anträge vertreten zu können. Drummond hat also sein Gesuch, den Fall an ein anderes Gericht zu überweisen, und dazu seinen Antrag auf Sicherheitsleistung für die Prozeßkosten und seinen Strafantrag. Der ging mir übrigens dermaßen gegen den Strich, daß ich meinerseits einen Strafantrag gestellt habe, in dem ich erkläre, sein Strafantrag sei unbegründet und niederträchtig. Deck hat mir erklärt, der Kampf um Strafzuweisungen entwickele sich bei den meisten Prozessen zu einem Krieg für sich, und es empfiehlt sich deshalb, gar nicht erst damit anzufangen. Ich bin einigermaßen skeptisch, was Decks juristische Ratschläge angeht. Er weiß selber, daß er da seine Grenzen hat. Und wie sagt er doch immer so gern? »Jeder kann eine Forelle braten. Die wirkliche Kunst besteht darin, das verdammte Ding an die Angel zu kriegen.«
Drummond schreitet zielstrebig zum Podium. Wir verfahren in chronologischer Ordnung, also fängt er mit seinem Antrag auf Sicherheitsleistung für die Prozeßkosten an, eine relativ unbedeutende Angelegenheit. Er schätzt, daß sich die Kosten auf rund tausend Dollar belaufen könnten, wenn es zum Prozeß kommen sollte, und er macht sich einfach Sorgen, daß weder ich noch meine Mandanten imstande sein werden, diese Summe aufzubringen, falls wir verlieren sollten und dann die Kosten tragen müßten.
»Darf ich Sie einen Moment unterbrechen, Mr. Drummond«, sagt Richter Kipler nachdenklich. Er spricht sehr ruhig und gut vernehmlich. »Ich habe Ihren Antrag, und ich habe Ihren Schriftsatz zur Begründung Ihres Antrags.« Er hebt sie hoch und winkt Drummond damit gewissermaßen zu. »Sie haben jetzt vier Minuten geredet und genau das gesagt, was schon schwarz auf weiß hier steht. Haben Sie etwas Neues hinzuzufügen?«
»Nun, Euer Ehren, ich habe das Recht …«
»Ja oder nein, Mr. Drummond? Ich bin durchaus imstande zu lesen und zu verstehen, und Sie schreiben sehr gut, wie ich vielleicht hinzusetzen sollte. Aber wenn Sie nichts Neues vorzubringen haben, weshalb sind wir dann hier?«
Ich bin sicher, daß so etwas dem großen Leo Drummond noch nie passiert ist, aber er tut so, als wäre das ein alltäglicher Vorgang. »Ich versuche lediglich, dem Gericht behilflich zu sein, Euer Ehren«, sagt er mit einem Lächeln.
»Abgelehnt«, sagt Kipler rundheraus. »Nächster Punkt.«
Drummond kommt zum nächsten Punkt, ohne ins Stocken zu geraten. »Also, wir stellen Antrag auf Strafzuweisung. Wir behaupten …«
»Abgelehnt«, sagt Kipler.
»Wie bitte?«
»Abgelehnt.«
Deck kichert hinter mir. Alle vier Köpfe am Tisch gegenüber senken sich gleichzeitig, während dieses Ereignis in gebührender Form festgehalten wird. Ich vermute, sie schreiben alle in großen Buchstaben das Wort ABGELEHNT.
»Beide Parteien haben einen Antrag auf Strafzuweisung gestellt, und ich lehne beide Anträge ab«, sagt Kipler,
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