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Der Regenmacher

Der Regenmacher

Titel: Der Regenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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verhandelt, bevor er sein erstes Eine-Million-Dollar-Urteil erreichte.
    Sie erzählen Kriegsgeschichten, um mich zuversichtlich zu stimmen. Es ist eine angenehme Art, den Nachmittag zu verbringen. Deck und ich werden die Nacht durcharbeiten, aber im Augenblick genieße ich den Trost verwandter Seelen, die sich ehrlich wünschen, daß ich Great Benefit einen gewaltigen Denkzettel verpasse.
    Jackson ist etwas bestürzt über Neuigkeiten aus Florida. Ein Anwalt dort konnte die Zeit nicht abwarten und hat heute morgen vier Klagen gegen Great Benefit eingereicht. Sie glaubten, der Mann würde sich ihrer konzertierten Aktion anschließen, aber offensichtlich hat ihn die Habgier gepackt. Nach dem heutigen Stand der Dinge vertreten diese drei Anwalte neunzehn Ansprüche gegen Great Benefit, und sie haben vor, die Klagen Anfang nächster Woche einzureichen.
    Sie wollen mich aufmuntern. Sie wollen uns ein gutes Abendessen spendieren, aber wir müssen arbeiten. Das letzte, was ich heute abend gebrauchen kann, ist ein schweres Essen und Wein und Drinks hinterher.
    Also essen wir im Büro ein paar Sandwiches und trinken Limonade. Ich deponiere Deck auf einem Stuhl in meinem Büro und probe mein Schlußplädoyer für die Geschworenen. Ich habe so viele Versionen davon memoriert, daß ich sie jetzt alle durcheinanderbringe. Ich benutze eine kleine Tafel und notiere die entscheidenden Zahlen. Ich bitte um Fairneß und fordere gleichzeitig eine horrende Geldsumme. Deck unterbricht mich häufig, und wir diskutieren wie Schulkinder.
    Keiner von uns beiden hat je ein Schlußplädoyer vor einer Jury gehalten, aber er hat mehr gehört als ich, also ist er der Experte. Es gibt Augenblicke, in denen ich mir unbesiegbar vorkomme, regelrecht arrogant, weil ich es auf eine so phantastische Art bis hierher geschafft habe. Deck spürt diese Anmaßung und versetzt mir schnell einen Dämpfer. Er erinnert mich wiederholt daran, daß der Fall morgen früh immer noch gewonnen oder verloren werden kann.
    Aber die meiste Zeit habe ich einfach Angst. Die Angst ist kontrollierbar, aber sie verläßt mich nie. Sie motiviert mich und spornt mich zum Weitermachen an, aber ich werde sehr glücklich sein, wenn ich sie los bin.
    Gegen zehn schalten wir das Licht aus und fahren nach Hause. Ich trinke ein Bier als Einschlafhilfe, und es funktioniert. Irgendwann nach elf schlafe ich über den in meinem Kopf herumtosenden Erfolgsvisionen ein.
    Kaum eine Stunde später läutet das Telefon. Es ist eine mir unbekannte Stimme, eine Frau, jung und sehr eindringlich. »Sie kennen mich nicht, aber ich bin eine Freundin von Kelly«, sagt sie fast flüsternd.
    »Was ist passiert?« frage ich und bin schlagartig wach.
    »Kelly geht es nicht gut. Sie braucht Ihre Hilfe.«
    »Was ist passiert?« frage ich noch einmal.
    »Er hat sie wieder geschlagen. Kam betrunken nach Hause, das Übliche.«
    »Wann?« Ich stehe im Dunkeln neben meinem Bett und versuche, den Lampenschalter zu finden.
    »Gestern abend. Sie braucht Ihre Hilfe, Mr. Baylor.«
    »Wo ist sie?«
    »Hier bei mir. Nachdem die Polizei Cliff mitgenommen hatte, ist sie in eine Notfallklinik gefahren. Gott sei Dank ist nichts gebrochen. Ich habe sie dort abgeholt, und jetzt versteckt sie sich hier bei mir.«
    »Wie schwer ist sie verletzt?«
    »Es sieht ziemlich schlimm aus, aber keine gebrochenen Knochen. Schnittwunden und schwere Prellungen.«
    Ich lasse mir ihren Namen und ihre Adresse geben, lege den Hörer auf und ziehe mich schnell an. Es ist eine große Wohnanlage, nicht weit von Kellys Wohnung entfernt, und ich fahre durch etliche Einbahnstraßen, bevor ich das richtige Gebäude gefunden habe.
    Robin, die Freundin, öffnet die Tür bei vorgelegter Kette einen Spaltbreit, und ich muß mich ausweisen, bevor sie mich einläßt. Sie dankt mir, daß ich gekommen bin. Sie ist selbst noch sehr jung, vermutlich geschieden und für kaum mehr als den Mindestlohn arbeitend. Ich trete ins Wohnzimmer, einen kleinen Raum mit gemietetem Mobiliar. Kelly sitzt auf dem Sofa, mit einem Eisbeutel auf dem Kopf.
    Ich kann nur vermuten, daß es die Frau ist, die ich kenne. Ihr linkes Auge ist vollständig zugeschwollen, die Haut darum herum verfärbt sich bereits blau. Über dem Auge sitzt ein Verband mit einem Blutfleck darauf. Beide Wangen sind geschwollen. Ihre Unterlippe ist aufgeplatzt und steht auf groteske Weise vor. Sie trägt ein langes T-Shirt, sonst nichts, und auf beiden Schenkeln und oberhalb der Knie zeigen sich große

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