Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Regenmacher

Der Regenmacher

Titel: Der Regenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
vorbei, kassieren die Prämien und tragen das Debet in die Quittungsbücher ein, die bei den Versicherten verbleiben. Sie bearbeiten Leute ohne nennenswerte Schulbildung, und wenn Ansprüche gestellt werden, verweigern die Versicherer routinemäßig die Zahlung. Tut uns leid, keine Deckung aus diesem oder jenem Grund. Wenn es darum geht, sich Ablehnungsgründe einfallen zu lassen, sind sie äußerst kreativ.«
    »Werden sie nicht verklagt?«
    »Nicht sehr oft. Untersuchungen haben ergeben, daß nur ungefähr einer von dreißig Fällen böswilliger Leistungsverweigerung vor Gericht kommt. Die Gesellschaften wissen das natürlich, sie kalkulieren das mit ein. Vergessen Sie nicht, sie sind auf die ärmeren Schichten aus, auf Leute, die Angst haben vor Anwälten und dem Rechtssystem.«
    »Was passiert, wenn sie verklagt werden?«
    Er läßt vehement seine Knöchel knacken. »In der Regel nicht viel. Es hat ein paar Urteile mit hohen Geldstrafen gegeben. An einem oder zwei solchen Prozessen war ich selbst beteiligt. Aber die Jurys scheuen davor zurück, aus einfachen Leuten, die billige Versicherungen gekauft haben, Millionäre zu machen. Überlegen Sie doch mal. Da ist ein Kläger mit, sagen wir, fünftausend Dollar an legitimen Arztrechnungen, die eindeutig von der Police gedeckt sind. Aber die Versicherungsgesellschaft behauptet nein. Und die Gesellschaft ist, sagen wir, zweihundert Millionen schwer. Beim Prozeß verlangt der Anwalt des Klägers die fünftausend Dollar und außerdem ein paar Millionen als Strafe für den Übeltäter. Das funktioniert höchst selten. Sie werden die fünftausend bewilligen, zehntausend als Geldstrafe dazutun, und die Gesellschaft hat wieder gesiegt.«
    »Aber Donny Ray Black stirbt. Und er stirbt, weil er die Knochenmarkstransplantation nicht bekommen kann, auf die er im Rahmen der Police Anspruch hat. Habe ich recht?«
    Leuberg bedenkt mich mit einem boshaften Lächeln. »Sie haben vollkommen recht. Vorausgesetzt, daß die Eltern Ihnen alles gesagt haben. Verlassen kann man sich darauf nie.«
    »Aber hier steht doch alles drin?« sage ich und deute auf die Akte.
    Er zuckt die Achseln, nickt und lächelt abermals. »Dann ist es ein guter Fall. Kein großartiger, aber ein guter.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Simpel, Rudy. Das hier ist Tennessee. Das Land mit den fünfstelligen Urteilen. Hier wird niemand zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Geschworenen sind überaus konservativ. Das Pro-Kopf-Einkommen ist ziemlich niedrig, also fällt es den Geschworenen äußerst schwer, ihre Nachbarn zu reichen Leuten zu machen. Und in Memphis ist es besonders schwierig, ein anständiges Urteil herauszuschlagen.«
    Ich wette, Jonathan Lake würde ein solches Urteil bewirken. Und vielleicht würde er mir ein Scheibchen abgeben, wenn ich ihm den Fall brächte. Ungeachtet meines Katers drehen sich die Rädchen in meinem Kopf.
    »Also was soll ich tun?«
    »Die Mistbande verklagen.«
    »Ich habe noch keine Lizenz.«
    »Nicht Sie. Schicken Sie diese Leute zu irgendeinem tüchtigen Prozeßanwalt. Telefonieren Sie mit ein paar Leuten, reden Sie mit dem Anwalt. Schreiben Sie einen zweiseitigen Bericht für Smoot, und damit ist die Sache für Sie erledigt.« Er springt auf, weil das Telefon läutet, und schiebt mir die Akte über den Schreibtisch hinweg zu. »Da drin ist eine Liste von mindestens drei Dutzend Leistungsverweigerungsfällen, die Sie lesen sollten. Nur für den Fall, daß es Sie interessiert.«
    »Danke«, sage ich. Er winkt mich hinaus. Beim Verlassen seines Büros höre ich Max Leuberg schon wieder ins Telefon röhren.
    Das Jurastudium hat mich gelehrt, Recherchen zu hassen. Ich habe jetzt drei Jahre in diesem Bau gelebt, und zumindest die Hälfte dieser qualvollen Stunden habe ich damit verbracht, mich durch ramponierte alte Bücher hindurchzuwühlen, auf der Suche nach lange zurückliegenden Fällen, die irgendwelche primitiven juristischen Theorien stützen, an die seit Jahrzehnten kein vernünftiger Anwalt mehr gedacht hat. Hier liebt man es, einen auf Schatzsuche zu schicken. Die Professoren, von denen fast alle lehren, weil sie in der realen Welt nicht zurechtkommen, sind überzeugt, es wäre ein gutes Training für uns, wenn wir obskure Fälle ausgraben und anschließend sinnlose Schriftsätze darüber verfassen, damit wir gute Noten bekommen, die es uns ermöglichen, als gut ausgebildete junge Anwälte unser Brot zu verdienen.
    So lief es vor allem in den ersten beiden Studienjahren.

Weitere Kostenlose Bücher