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Der Regenmacher

Der Regenmacher

Titel: Der Regenmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Tinley Britt würde lieber passen.«
    »Gut«, sage ich, weil mir nichts Intelligentes einfällt. Sie weiß es besser. Sie weiß, daß ich hier sitze und leide.
    »Bei Tinley Britt haben wir nicht viel Einfluß. In den vergangenen drei Jahren haben sie nur fünf von unseren Graduierten eingestellt. Sie sind so groß geworden, daß man sie nicht unter Druck setzen kann. Offen gestanden, ich würde dort nicht arbeiten wollen.«
    Sie versucht, mich zu trösten, mir das Gefühl zu vermitteln, daß mir etwas Gutes widerfahren ist. Wer braucht schon Trent & Brent und ihre Anfangsgehälter von fünfzigtausend Dollar im Jahr?
    »Also, was ist noch übrig?« frage ich.
    »Nicht viel«, sagt sie schnell. »Im Grunde gar nichts.« Sie wirft einen Blick auf ein paar Notizen. »Ich habe alle angerufen, die ich kenne. Da war ein Job als Assistent eines Pflichtverteidigers, Teilzeit, Zwölftausend im Jahr, aber der wurde vor zwei Tagen vergeben. Ich habe ihn Hall Pasterini verschafft. Sie kennen Hall? Er hat Glück gehabt. Endlich ein Job für ihn.«
    Ich wollte, das Glück hätte ich auch.
    »Und dann sind da noch zwei Stellen als Firmenanwalt bei kleinen Unternehmen, aber beide bestehen auf bestandenem Anwaltsexamen.«
    Das Anwaltsexamen ist im Juli. Praktisch jede Kanzlei stellt ihre neuen Leute unmittelbar nach der Graduierung ein, bezahlt sie, bereitet sie auf das Examen vor, und wenn sie es bestanden haben, läuft alles wie am Schnürchen weiter.
    Sie legt ihre Notizen auf den Tisch. »Ich bohre weiter, okay? Vielleicht ergibt sich doch noch etwas.«
    »Was soll ich tun?«
    »Klinken putzen. Es gibt in dieser Stadt dreitausend Anwälte, und die meisten von ihnen praktizieren allein oder mit ein oder zwei anderen. Sie arbeiten nicht mit dem Vermittlungsbüro hier zusammen, also kennen wir sie nicht. Ich an Ihrer Stelle würde mit den kleinen Sozietäten anfangen, zwei, drei, vielleicht vier Anwälte, die zusammenarbeiten, und versuchen, ihnen einen Job abzuschwatzen. Bieten Sie ihnen an, Karteileichen zu bearbeiten, das Geld für sie einzutreiben …«
    »Karteileichen?« frage ich.
    »Na ja. Jeder Anwalt hat doch ein paar Karteileichen, die er in irgendeiner vergessenen Ecke vor sich hin modern läßt, und je länger sie dort liegen, desto schlimmer stinken sie. Das sind die Fälle, von denen jeder Anwalt wünscht, er hätte sie nie übernommen.«
    Was sie einem doch beim Studium alles nicht beibringen.
    »Darf ich etwas fragen?«
    »Natürlich.«
    »Dieser Rat, den Sie mir eben gegeben haben, daß ich Klinken putzen soll – wie oft haben Sie den in den letzten drei Monaten erteilt?«
    Sie lächelt kurz, dann konsultiert sie einen Computerausdruck. »Wir haben noch ungefähr fünfzehn Graduierte auf der Suche nach einem Job.«
    »Also sind diese Leute vermutlich gerade jetzt unterwegs und kämmen die Straßen durch.«
    »Vermutlich. Aber im Grunde ist das schwer zu sagen. Einige von ihnen haben andere Pläne, über die sie mich nicht immer informieren.«
    Es ist nach fünf, und sie möchte gehen. »Danke, Mrs. Skinner. Für alles. Es ist schön zu wissen, daß sich jemand um mich sorgt.«
    »Ich sehe mich weiter um, das verspreche ich Ihnen. Schauen Sie nächste Woche wieder herein.«
    »Das werde ich. Danke.«
    Ich kehre unbemerkt in meine Arbeitsnische zurück.

6
    Das Birdsong-Haus liegt am Rande der Innenstadt, in einer älteren, wohlsituierten Gegend, nur ein paar Meilen von der Juristischen Fakultät entfernt. Die Straße ist von sehr alten Eichen gesäumt und macht einen ruhigen Eindruck. Einige der Häuser sind recht ansehnlich, mit manikürten Rasenflächen und funkelnden Luxuskarossen in der Auffahrt. Andere dagegen wirken fast verlassen und lugen unheimlich durch dichtes Gestrüpp von unbeschnittenen Bäumen und wuchernden Sträuchern. Wieder andere liegen irgendwo dazwischen. Das Haus von Miss Birdie ist ein weißer Bau aus der Zeit um die Jahrhundertwende mit einer breiten, an einer Seite um die Ecke führenden Veranda. Es braucht einen Anstrich, ein neues Dach und eine Menge Arbeit im Garten. Die Fenster sind schmutzig und die Regenrinnen mit Blättern verstopft, aber es ist offensichtlich, daß hier jemand wohnt und versucht, es instand zu halten. Die Auffahrt säumen unbeschnittene Hecken. Ich stelle meinen Wagen hinter einen schmutzigen Cadillac, der vermutlich zehn Jahre alt ist.
    Ich gehe über knarrende Verandaplanken zur Haustür und halte Ausschau nach einem großen Hund mit gebleckten Zähnen. Es ist

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