Der Regenmacher
ist das?« frage ich.
»Vorladungen.«
Ich nehme langsam die Papiere. Es ist zu dunkel, um etwas entziffern zu können, aber ich habe begriffen. »Sie sind Zustellungsbeamter?«
»Ja.«
»Texaoo?«
»Ja. Und The Hampton. Sie werden vor die Tür gesetzt.«
Wenn ich nüchtern wäre, würde mich der Anblick eines Zwangsräumungsbefehls vielleicht schockieren. Aber für einen Tag habe ich schon genug einstecken müssen. Ich werfe einen Blick auf das dunkle, schäbige Gebäude mit Müll auf dem Rasen und Unkraut auf den Wegen und frage mich, wie dieser jämmerliche Bau es fertiggebracht hat, mich kleinzukriegen.
Er tritt einen Schritt zurück. »Da steht alles drin«, erklärt er. »Tag der Verhandlung, Namen von Anwälten und so weiter. Wahrscheinlich können Sie die ganze Sache mit ein paar Anrufen klären. Aber das geht mich nichts an. Nicht mein Job.«
Was für ein Job. Sich im Schatten verstecken, sich auf nichtsahnende Leute stürzen, ihnen Papiere in die Hand drücken, ein paar Worte kostenlosen juristischen Rat von sich geben und dann verschwinden, um jemand anderen zu terrorisieren.
Im Davongehen bleibt er noch einmal stehen und sagt: »Übrigens, ich war früher bei der Polizei und habe ein Funkgerät im Wagen. Vor ein paar Stunden kam eine komische Meldung durch. Irgendein Typ namens Rudy Baylor hat in der Innenstadt eine Anwaltskanzlei demoliert. Der Beschreibung nach könnten Sie es gewesen sein. Auch Typ und Baujahr des Wagens stimmen. Aber Sie waren es wohl nicht.«
»Und wenn doch?«
»Das ist nicht meine Sache. Aber die Polizei sucht nach Ihnen. Beschädigung von Privateigentum.«
»Sie meinen, man wird mich verhaften?«
»Ja. Ich an Ihrer Stelle würde heute nacht woanders schlafen.«
Er steigt in seinen Wagen, einen BMW. Ich sehe zu, wie er wegfährt.
Booker erwartet mich auf der Vortreppe seiner hübschen Doppelhaushälfte. Er trägt einen Paisley-Morgenrock über dem Schlafanzug. Keine Slipper, nur nackte Füße. Booker mag auch nur ein mittelloser Jurastudent sein, der die Tage zählt, bis er anfangen kann zu arbeiten, aber er ist sehr modebewußt. In seinem Kleiderschrank hängt nicht viel, aber seine Garderobe ist mit Bedacht ausgewählt. »Was zum Teufel ist los mit dir?« fragt er ein wenig barsch mit noch schlaftrunkenen Augen. Ich habe ihn von einem Münzfernsprecher im Junior Food Mart um die Ecke aus angerufen.
»Tut mir leid«, sage ich, als wir ins Wohnzimmer gehen. Ich kann Charlene in der winzigen Küche sehen, gleichfalls in einem Paisley-Morgenrock und mit verschlafenen Augen. Sie macht Kaffee oder sonst etwas. Irgendwo im Hintergrund höre ich ein Kind weinen. Es ist fast drei Uhr nachts, und ich habe die ganze Familie aufgeweckt.
»Setz dich«, sagt Booker, nimmt mich am Arm und schiebt mich sanft aufs Sofa. »Du hast getrunken.«
»Ich bin betrunken, Booker.«
»Irgendein spezieller Grund?« Er steht vor mir, ungefähr wie ein wütender Vater.
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Du hast die Polizei erwähnt.«
Charlene stellt eine Tasse heißen Kaffee auf den Tisch neben mir. »Bist du okay, Rudy?« fragt sie mit ihrer süßesten Stimme.
»Mir geht’s großartig«, erwidere ich angeberisch.
»Geh und sieh nach den Kindern«, sagt Booker zu ihr, und sie verschwindet.
»Tut mir leid«, sage ich wieder. Booker läßt sich dicht neben mir auf der Kante des Beistelltisches nieder und wartet.
Ich ignoriere den Kaffee. Mein Kopf dröhnt. Ich lade meine Version dessen ab, was sich ereignet hat, seit wir uns gestern am frühen Nachmittag voneinander trennten. Meine Zunge ist dick und schwerfällig, also lasse ich mir Zeit und versuche, mich auf meinen Bericht zu konzentrieren. Charlene läßt sich auf dem am nächsten stehenden Sessel nieder und hört mit großer Anteilnahme zu. »Es tut mir leid«, flüstere ich in ihre Richtung.
»Das ist schon okay, Rudy. Das ist okay.«
Charlenes Vater ist Geistlicher, irgendwo im ländlichen Tennessee, und sie hat keinerlei Verständnis für Betrunkenheit oder ausfallendes Benehmen. Die paar Drinks, die Booker und ich in der Fakultät zusammen hatten, haben wir heimlich gekippt.
»Du hast zwei Sechserpacks getrunken?« fragt er ungläubig.
Charlene geht ins Hinterzimmer, um nach dem Kind zu sehen, das wieder angefangen hat zu weinen. Ich beende meinen Bericht mit dem Zustellungsbeamten, der Klage, dem Rausschmiß aus meiner Wohnung. Es war einfach ein scheußlicher Tag.
»Ich muß einen Job finden, Booker«, sage ich und
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