Der Regenmacher
trinke einen großen Schluck Kaffee.
»Im Augenblick hast du wesentlich größere Probleme. In drei Monaten ist das Examen, danach müssen wir vor den Prüfungsausschuß. Eine Verhaftung und Verurteilung wegen dieser Sache würden dich ruinieren.«
Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Jetzt fühlt mein Kopf sich an, als wollte er zerspringen. »Könnte ich vielleicht ein Sandwich haben?« Mir ist schlecht. Zum zweiten Sechserpack habe ich eine Tüte Brezeln gegessen, aber das war alles seit dem Lunch mit Bosco und Miss Birdie.
Charlene hört das in der Küche. »Wie wäre es mit Eiern und Speck?«
»Wunderbar, Charlene. Danke.«
Booker ist tief in Gedanken versunken. »In ein paar Stunden rufe ich Marvin Shankle an. Er kann mit seinem Bruder reden, vielleicht bei der Polizei ein gutes Wort für dich einlegen. Wir müssen verhindern, daß du verhaftet wirst.«
»Hört sich gut an.« Marvin Shankle ist der prominenteste schwarze Anwalt in Memphis, Bookers künftiger Boß. »Wenn du mit ihm sprichst, frage ihn, ob bei ihm eine Stelle frei ist.«
»Okay. Du willst also für eine schwarze Bürgerrechtskanzlei arbeiten.«
»Im Augenblick würde ich sogar einen Job bei einer koreanischen Scheidungskanzlei annehmen. Nimm mir’s nicht übel, Booker, aber ich muß unbedingt Arbeit finden. Ich stehe vor der Pleite, Mann. Durchaus möglich, daß da draußen noch weitere Gläubiger unterwegs sind, im Gestrüpp lauern und nur darauf warten, daß sie sich mit noch mehr Papieren auf mich stürzen können. Das halte ich nicht aus.« Ich strecke mich langsam auf dem Sofa aus. Charlene brät Eier und Speck, und der Geruch zieht durch das kleine Wohnzimmer.
»Wo sind die Papiere?« fragt Booker.
»Im Wagen.«
Er verläßt das Zimmer und ist eine Minute später wieder da. Er setzt sich auf einen nahe stehenden Stuhl und studiert die Texaco-Klage und den Räumungsbefehl. Charlene hantiert in der Küche, bringt mir mehr Kaffee und Aspirin. Es ist halb vier Uhr morgens. Die Kinder sind endlich ruhig. Ich fühle mich warm und sicher, sogar geliebt.
In meinem Kopf dreht es sich langsam, als ich die Augen schließe und davondrifte.
5
Wie eine Schlange, die sich durchs Unterholz windet, schleiche ich lange nach Mittag und Stunden nach dem Ende meiner beiden heutigen Vorlesungen in die Fakultät. Sportrecht und ausgewählte Texte aus dem Code Napoleon, was für ein Witz. Ich verstecke mich in meinem kleinen Nest im Kellergeschoß der Bibliothek.
Booker hat mich auf dem Sofa mit der erfreulichen Nachricht geweckt, daß er mit Marvin Shankle gesprochen hat und die Räder in der Innenstadt angefangen haben, sich zu drehen. Ein gewisser Captain wurde angerufen, und Mr. Shankle war zuversichtlich, daß die Dinge ins Lot gebracht werden können. Mr. Shankles Bruder ist Richter, und wenn die Anklage nicht fallengelassen wird, gibt es noch andere Möglichkeiten. Aber bisher ist immer noch nicht bekannt, ob die Polizei nach mir sucht oder nicht. Booker würde noch ein paar weitere Anrufe machen und mich auf dem laufenden halten.
Booker hat bereits ein Büro in der Kanzlei Shankle. Er hat schon in den letzten beiden Jahren stundenweise dort gearbeitet und dabei mehr gelernt als fünf von uns übrigen zusammen. Zwischen den Vorlesungen ruft er eine Sekretärin an, jongliert gekonnt mit seinem Terminkalender, erzählt mir von diesem und jenem Mandanten. Er wird einen guten Anwalt abgeben.
Es ist unmöglich, mit einem Kater klar zu denken. Ich kritzele Notizen an mich selbst auf einen Block, so von der Art, daß ich es geschafft habe, ungesehen in dieses Gebäude zu gelangen, aber wie geht’s weiter? Ich werde ein paar Stunden hier warten, bis sich der Bau geleert hat. Es ist Freitagnachmittag, die trägste Zeit der Woche. Dann werde ich mich in die Stellenvermittlung schleichen und der Leiterin des Büros mein Leid klagen. Wenn ich Glück habe, gibt es vielleicht irgendeine obskure Behörde, die jeder andere Bewerber verschmäht hat und die immer noch zwanzigtausend im Jahr für einen klugen juristischen Kopf offeriert. Oder vielleicht hat ein kleiner Betrieb plötzlich festgestellt, daß er unbedingt einen Firmenanwalt braucht. An diesem Punkt sind nicht mehr viele Vielleichts übrig.
In Memphis gibt es eine Legende mit Namen Jonathan Lake, einen Absolventen der Fakultät, dem es auch nicht gelungen war, bei einer der großen Kanzleien in der Innenstadt einen Job zu bekommen. Das war vor ungefähr zwanzig Jahren. Die etablierten
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