Der Regenmacher
prachtvollen Umgebung.
Ich habe beschlossen, Miss Birdie für mich zu behalten. Sie ist keine besonders attraktive Mandantin, weil sie keinen Pfennig für Anwälte ausgibt. Wahrscheinlich wird sie hundertzwanzig Jahre alt werden, es hat also keinen Sinn, sie als Trumpfkarte auszuspielen. Ich bin sicher, daß es immens tüchtige Anwälte gibt, die ihr alle möglichen Zahlungen entlocken würden, aber das gilt nicht für die Kanzlei Lake. Diese Leute führen Prozesse. Sie sind nicht daran interessiert, Testamente aufzusetzen und Nachlässe zu verwalten.
Ich stehe wieder auf. Ich habe genug von Barrys Zeit in Anspruch genommen. »Hören Sie«, sage ich so treuherzig wie möglich. »Ich weiß, daß Sie viel zu tun haben. Ich mache Ihnen nichts vor. Sie können sich bei der Juristischen Fakultät erkundigen. Rufen Sie Madeline Skinner an, wenn Sie wollen.«
»Die verrückte Madeline. Ist die immer noch da?«
»Ja, und zur Zeit ist sie meine beste Freundin. Sie wird für mich bürgen.«
»Gut. Ich setze mich so bald wie möglich wieder mit Ihnen in Verbindung.«
Wer’s glaubt.
Auf dem Weg zum Ausgang verlaufe ich mich zweimal. Niemand beachtet mich, also lasse ich mir Zeit und bewundere die großen, über das ganze Gebäude verstreuten Büros. Einmal bleibe ich am Rand der Bibliothek stehen und schaue zu den Bücherwänden auf, die sich mit schmalen, rundherumführenden Galerien über drei Stockwerke ziehen. Keine zwei Büros haben auch nur eine entfernte Ähnlichkeit miteinander. Dazwischen immer wieder mal ein Konferenzraum. Sekretärinnen, Schreibkräfte und andere Unterlinge bewegen sich geschäftig über die polierten Kiefernfußböden.
Hier würde ich auch für weniger als einundzwanzigtausend im Jahr arbeiten.
Ich parke leise hinter dem langen Cadillac und schiebe mich lautlos aus meinem Wagen. Ich bin nicht in der Stimmung zum Umtopfen von Chrysanthemen. Vorsichtig umrunde ich das Haus und werde von einem riesigen Stapel aus weißen Plastiksäcken begrüßt. Dutzenden von Plastiksäcken. Mulch aus geschroteter Kiefernborke, tonnenweise. Jeder Sack wiegt einen Zentner. Jetzt erinnere ich mich, daß Miss Birdie vor ein paar Tagen etwas über das Mulchen sämtlicher Blumenbeete gesagt hat. Aber so habe ich mir das nicht vorgestellt.
Ich schieße auf die zu meiner Wohnung führende Treppe zu, und als ich fast oben angekommen bin, höre ich sie rufen: »Rudy, mein Lieber, lassen Sie uns einen Kaffee trinken.« Sie steht neben dem Monument aus Kiefernborke und lächelt mich mit ihren graugelben Zähnen breit an. Sie ist restlos glücklich, daß ich zu Hause bin. Es dämmert bereits, und sie liebt es, auf der Terrasse zu sitzen und Kaffee zu trinken, während die Sonne untergeht.
»Natürlich«, sage ich, hänge mein Jackett über das Geländer und nehme meine Krawatte ab.
»Wie geht es Ihnen, mein Lieber?« fragt sie herauf. Mit diesem »mein Lieber« hat sie vor ungefähr einer Woche angefangen. Mein Lieber dies und mein Lieber das.
»Danke, gut. Nur müde. Mein Rücken macht mir zu schaffen.« Seit mehreren Tagen habe ich immer wieder Anspielungen auf meinen Rücken gemacht, aber bisher hat sie den Köder noch nicht geschluckt.
Ich lasse mich auf meinem gewohnten Stuhl nieder, während sie in der Küche ihr fürchterliches Gebräu anmischt. Es ist früher Abend, lange Schatten fallen über den Rasen hinter dem Haus. Ich zähle die Mulchsäcke. Acht in einer Reihe, vier Reihen hintereinander, acht Schichten übereinander. Das macht 256 Säcke. Bei einem Zentner pro Sack sind das 256 Zentner. Gefüllt mit Mulch. Der verteilt werden muß. Von mir.
Wir trinken unseren Kaffee, wobei ich nur sehr kleine Schlucke nehme, und sie will alles wissen, was ich heute getan habe. Ich lüge und erzähle ihr, ich hätte mit einigen anderen Anwälten über Prozesse gesprochen und dann für das Anwaltsexamen gelernt. Morgen das gleiche. Vollauf beschäftigt, Sie wissen schon, mit Anwaltskram. Keinesfalls Zeit, eine Tonne Mulch anzuheben und herumzuschleppen.
Wir beide stoßen mehr oder weniger mit der Nase an die weißen Säcke, aber hinsehen will keiner von uns. Ich vermeide Blickkontakt.
»Wann fangen Sie an, als Anwalt zu arbeiten?« fragt sie.
»Das weiß ich noch nicht genau«, sage ich, dann erkläre ich ihr zum zehnten Mal, daß ich in den nächsten paar Wochen angestrengt lernen und mich in den Büchern in der Fakultät vergraben muß, damit ich das Anwaltsexamen bestehe. Bevor ich das Examen nicht bestanden
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