Der Regenmacher
unnötige gesellschaftliche Lasten auf.
Meine Kanzlei tut das nicht. Ich kann anziehen, was ich will, ich kann die letzte Rostlaube fahren, überall herumhängen, und niemand wird je ein Wort sagen. Ich frage mich, wie ich reagieren werde, wenn einer der Burschen in der Kanzlei mich zum erstenmal auffordert, mit ihm auf ein oder zwei Tanzdarbietungen auf die andere Straßenseite zu gehen.
Plötzlich bin ich mein eigener Herr. Während der Verkehr zentimeterweise vorankriecht, überkommt mich ein wundervolles Gefühl der Unabhängigkeit. Ich kann überleben! Ich werde eine Weile für Bruiser schuften und dabei vermutlich mehr über die Juristerei lernen, als es bei den großen Firmen in der Innenstadt der Fall gewesen wäre. Ich werde die höhnischen Bemerkungen und das Naserümpfen anderer Leute über meine Arbeit in einem so schäbigen Laden aushalten. Damit werde ich fertig. Es wird mich zäh machen. Vor noch nicht allzu langer Zeit, als ich mich bei Broadnax and Speer und dann bei Lake sicher untergebracht glaubte, war ich ziemlich aufgeblasen, also werde ich jetzt ein bißchen demütiger sein.
Es ist bereits dunkel, als ich Greenway Plaza erreiche. Die meisten Wagen sind vom Parkplatz verschwunden. Auf der anderen Straßenseite hat die grelle Reklame des Club Amber die übliche Menge von Pickups und Leihwagen angezogen. Das Neonlicht umwirbelt das Dach des gesamten Gebäudes und erhellt die ganze Umgebung.
Das Pornogeschäft blüht in Memphis, und das ist schwer zu erklären. Dies ist eine sehr konservative Stadt mit Unmengen von Kirchen, das Herz des Bibelgürtels. Die Leute, die sich hier um ein Amt bewerben, bekennen sich ausnahmslos zu einem strengen Moralkodex, was gewöhnlich von den Wählern honoriert wird. Ich kann mir keinen Kandidaten vorstellen, der das Pornogeschäft tolerierte und trotzdem gewählt würde.
Ich beobachte, wie eine Wagenladung Geschäftsleute aussteigt und in den Club Amber torkelt – ein Amerikaner mit vier japanischen Freunden, zweifellos im Begriff, einen langen Tag des Geschäftemachens mit ein paar Drinks und einer anregenden Betrachtung der neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet des amerikanischen Silikons abzuschließen.
Die Musik ist schon jetzt sehr laut. Der Parkplatz füllt sich schnell.
Ich gehe rasch zur Vordertür der Kanzlei und schließe sie auf. Die Büros sind leer. Vermutlich sind alle auf der anderen Straßenseite. Heute nachmittag hatte ich deutlich den Eindruck, daß die Kanzlei von J. Lyman Stone kein Ort für Arbeitstiere ist.
Alle Türen sind zu und vermutlich abgeschlossen. In dieser Gegend traut niemand niemandem. Ich habe unbedingt die Absicht, meine Tür auch immer abzuschließen.
Ich werde ein paar Stunden hierbleiben. Ich muß Booker anrufen und ihn über mein neuestes Abenteuer informieren. Wir haben unsere Vorbereitungen für das Anwaltsexamen vernachlässigt. Drei Jahre lang haben wir es immer wieder geschafft, uns gegenseitig anzutreiben und zu motivieren. Das Anwaltsexamen steht mir bevor wie eine Verabredung mit einem Exekutionskommando.
16
Ich überstehe die Nacht ohne Verhaftung, aber auch ohne viel Schlaf. Irgendwann zwischen fünf und sechs Uhr kapituliere ich vor den verworrenen Gedanken, die mir im Kopf herumwirbeln, und stehe auf. Von den letzten achtundvierzig Stunden habe ich kaum vier geschlafen.
Die Nummer steht im Telefonbuch, und ich wähle sie um fünf Minuten vor sechs. Ich bin bei der zweiten Tasse Kaffee. Es läutet zehnmal, bevor eine verschlafene Stimme »Hallo« sagt.
»Barry Lancaster bitte.«
»Am Apparat.«
»Barry, hier ist Rudy Baylor.«
Er räuspert sich, und ich kann regelrecht sehen, wie er aus dem Bett springt. »Was wollen Sie?« fragt er jetzt mit wesentlich schärferer Stimme.
»Tut mir leid, daß ich Sie so früh störe, aber ich wollte Sie über ein paar Dinge informieren.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, daß die Blacks gestern ihre Klage gegen Great Benefit eingereicht haben. Ich schicke Ihnen eine Kopie, sobald Sie sich ein neues Büro beschafft haben. Die Blacks haben außerdem eine Kündigung unterschrieben. Sie sind also nicht mehr ihr Anwalt und brauchen sich ihretwegen nicht mehr den Kopf zu zerbrechen.«
»Wie konnten Sie die Klage einreichen?«
»Das geht Sie wirklich nichts an.«
»Meinen Sie?«
»Ich schicke Ihnen eine Kopie der Klage, dann können Sie es selbst herausfinden. Haben Sie eine neue Adresse, oder gilt noch die alte?«
»Unser Postschließfach ist nicht mit
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