Der Regler
anzuknüpfen. Doch Senhor João, von dem nur wenige Gäste wussten, dass er selbst der Direktor des
Palacio de Seteais
war, beschloss, Melanie Schwarz weiter zu beobachten und sich gegebenenfalls über die eigene Anordnung hinwegzusetzen.
Sechster Tag
16. Mai
München, Buttermelcherstraße, 10 Uhr
Die Redaktion der Zeitschrift
Psychologie Journal
lag nur wenige Gehminuten entfernt vom berühmten Münchner Viktualienmarkt. Gute Lage, dachte Kommissar August Maler, als er das Geschäftshaus betrat und den Aufzug in den dritten Stock nahm. Vier Etagen hatte das Haus und beherbergte einige Anwalts- und Arztpraxen sowie ebenjene Redaktion. Maler war ein wenig überrascht, dass der Chefredakteur persönlich ihm die Tür öffnete. Der kleine, dünne Mann reichte ihm die Hand. »Stefan Treysa ist mein Name. Kommen Sie rein, Herr Kommissar.«
Die Redaktion hatte zwei Zimmer, in beiden stapelten sich Zeitschriften und Papier. Treysa führte ihn in eins der Büros und setzte sich an den Schreibtisch, Maler nahm ihm gegenüber Platz. Die Wände, der Schreibtisch, die Stühle, alles war weiß.
»Wundern Sie sich bitte nicht«, sagte Treysa, »dass Sie keinen anderen Menschen sehen. Aber es gibt hier nur mich. Wir haben ein paar Mitarbeiter, aber das sind alles Externe.« Er klappte seinen Laptop zu, ebenfalls weiß, fragte, ob er dem Kommissar etwas anbieten könne. Wasser? Kaffee?
»Ein Glas Wasser wäre nett«, sagte Maler. Es war nun richtig warm draußen. Der Sommer hatte dieses Jahr früh die Regie übernommen.
Plötzlich hörte man aus dem zweiten Zimmer ein lautes Geräusch. Eine Art Fiepen. Doch als es sich wiederholte, erkannte Maler eine hohe, dünne Stimme, die etwas Ähnliches wie das Wort »Wau« von sich gab.
Treysa sagte: »Sie dürfen sich jetzt noch mal nicht wundern. Da drüben sitzt ein Papagei, mein einziger Kollege. Er gibt nur dieses eine Wort von sich, den ganzen Tag. Aber man gewöhnt sich daran, ich verspreche es Ihnen.«
»Weiß man, warum der Papagei ›Wau‹ sagt?«, fragte Maler und musste lachen.
Treysa schmunzelte. »Man kann es nur ahnen. Vielleicht hat er in der Kindheit zu viel Kontakt zu Hunden gehabt. Aber die Psychologie von Papageien ist weitgehend unerforscht. Möchten Sie ihn sehen?«
»Ach nein«, sagte Maler, »hören reicht mir.«
»Also, Herr Kommissar, was kann ich für Sie tun?«
»Es geht um die aktuelle Titelgeschichte Ihres Blattes«, sagte Maler. »Ich hatte es Ihnen schon am Telefon gesagt. Ich möchte möglichst viele Informationen über den Ermordeten, diesen Herrn Professor Norbert Kufner.«
»Eine schreckliche Sache. Ich habe im Fernsehen einen Bericht gesehen. Die haben das groß aufgemotzt. Der berühmte Psychiater, ermordet im Luxushotel. Bei mir haben auch schon drei Fernsehsender angerufen, ich solle mich doch zu Kufner äußern. Mache ich aber nicht, das ist mir zu viel Boulevard. Weiß man jetzt schon mehr über den Mord?«
»Nein. Sie verstehen sicher, dass ich über Einzelheiten nicht sprechen kann.«
»Natürlich«, sagte Treysa und füllte dem Kommissar erneut sein Wasserglas. Dann holte er aus einer Schublade zwei Exemplare des neuen
Psychologie Journals
und gab eins Maler, das andere legte er vor sich auf den Tisch. »Kufner war auf jeden Fall ein höchst eindrucksvoller Mann. Er hatte wirklich Charisma. Das Interview mit ihm war sehr spannend.«
Maler betrachtete das Foto von Norbert Kufner. Es sollte wohl diabolisch wirken, damit es zu der Überschrift passte:
Kann man die Seele umprogrammieren?
Aber man bemerkte trotzdem die feinen, sensiblen Gesichtszüge. Und für einen Moment blendete Maler die anderen Bilder ein von diesem Gesicht, den Anblick, den er in der Bozener Gerichtsmedizin gesehen hatte. Das Gesicht ohne Augen. Die Obduktion hatte ergeben, dass Kufner wie Professor Kerkhoff durch einen gezielten Stich in die Leber getötet worden war. Und wieder waren die Augen herausgeschält worden. Es gab keinen Zweifel, dass Kerkhoff und Kufner vom selben Täter ermordet worden waren.
Treysa sagte, um Kufners Bedeutung und die heftige Kritik an ihm zu erklären, müsse er etwas ausholen. In den Neunziger Jahren habe es in den USA eine Gruppe von Therapeuten gegeben, die bei schwer depressiven, selbstmordgefährdeten Patienten eine neue Behandlung versuchten: Sie setzen die Patienten – meist waren es Frauen – unter Hypnose und redeten ihnen ein, sie seien als Kind von ihren Vätern missbraucht worden. Was in den meisten Fällen nicht
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