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Der Regler

Der Regler

Titel: Der Regler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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jener Boutique. Sie schlüpfte in hohe weiße Pumps, griff nach dem Glas mit dem Whiskey, ging zurück auf die Terrasse und setzte sich an den Steintisch vor das Paket von Gabriel Tretjak.
    Unter dem Packpapier kam eine Schachtel hervor, grauer Karton, der Deckel von einem grauen Band gehalten. Melanie Schwarz löste das Band und nahm den Deckel ab. In dem Karton lag ein Stapel Papiere. Obenauf ein Anschreiben mit Tretjaks Briefkopf.
Liebe Melanie Schwarz
, stand da, mit Füller handgeschrieben.
Sie dürfen sich freuen, das Warten hat ein Ende.
    Buchstaben auf Papier entfalten im Gehirn des Menschen eine andere Wirkung als gesprochene Worte. Gesprochenes kann das Hirn relativ leicht uminterpretieren, anders verstehen, als es gemeint ist, in die eigene Wirklichkeit so einpassen, dass es erträglich wird. Worte auf Papier
sind
die Wirklichkeit, gnadenlos, gefühllos. Die Todesanzeige in der Zeitung, der Abschiedsbrief auf dem Küchentisch, die Kündigung, das Zeugnis, der medizinische Befund.
    Sie hatte nicht die Geduld, Tretjaks Brief weiterzulesen, und schob ihn zur Seite, um den Rest des Stapels zu untersuchen. Ein Flugticket auf ihren Namen, Lissabon–Frankfurt, morgen Vormittag, 11.15 Uhr. Ein Prospekt über eine Wohnung in Heidelberg, Regengasse 3, vierter Stock, drei Zimmer, kleine Dachterrasse. Ein Dossier über einen Laden in der Heidelberger Innenstadt, zurzeit offenbar noch ein Geschäft für Outdoor-Bekleidung, das Schaufenster aber schon mit Schildern versehen:
Räumungsverkauf.
Mietverträge auf ihren Namen. Melanie trank in schnellen Schlucken das Whiskeyglas leer. Ihre Finger zitterten, als sie die Dokumente durchblätterten. Das Schreiben eines Reiterhofs im Taunus.
… freuen wir uns, den Tieren ein neues Zuhause zu geben …
Das Vertragswerk für die Regelung der Scheidung, inklusive anvisiertem Gerichtstermin in Berlin. Der Kaufvertrag eines Autos, Minicooper-Cabriolet, Vorführwagen, Farbe schwarz, Halterin: Melanie Schwarz, Kennzeichen: Heidelberg … Die Bestätigung eines Umzugunternehmens. Die Formulare für die Ummeldung, den Nachsendeauftrag. Sie nahm die Papiere flüchtig zur Kenntnis und verstreute sie auf dem Tisch. Was sie schließlich in der Hand behielt, war ein Kuvert, auf dem nur ihr Vorname stand, in Peters Handschrift, dieser Schrift, die sie so gut kannte, in der er ihr Liebesbriefe geschrieben hatte … früher, plötzlich aber wieder so nah. Sie nahm nur den Brief, ließ den Rest auf dem Tisch liegen, ging zurück ins Zimmer, legte sich aufs Bett. Sie riss den Umschlag auf und las die ersten Sätze und die letzten.
Ich schreibe Dir diese Zeilen in Ruhe und mit großem Verständnis. Du brauchst keine Angst zu haben, und Du musst Dir keine Sorgen machen.
So begann der Brief. Und er endete:
Eigentlich wollte Dich Herr Tretjak in Frankfurt am Flughafen abholen. Aber ich halte es für besser, das selbst zu tun. Wenn Dich schon jemand in Deinem neuen Leben abliefert, dann sollte es ein alter Freund sein, findest Du nicht auch? Dein Peter.
    Melanie Schwarz begann zu weinen. Ihre Augen hielt sie zur Decke gerichtet. Der ganze Cocktail aus Verzweiflung und Erleichterung, Scham, Freude und Trauer floss rechts und links über ihre Wangen auf das seidene Kopfkissen.
     
    Erst später, als sie unten in der Bar erschien, wo die hohen Fenster weit geöffnet waren und man den Sonnenuntergang über dem Meer beobachten konnte, hatte sie alles gelesen, was die Schachtel enthalten hatte. Auch Tretjaks Brief, auch den Absatz, wo er schrieb, dass er es für richtig halte, wenn sie in der nächsten Zeit Sorge dafür trug, dass ihre Seele die schnellen Veränderungen verarbeiten könne. Er hatte sich erlaubt, hierfür schon ein paar Termine für sie zu vereinbaren. Der Mann, den sie dazu treffen sollte, war offenbar eine Koryphäe, sein Name war Norbert Kufner, Professor Dr. Norbert Kufner, Wien.
    Senhor João, der wegen seiner schwarzen Augen und seines grauen, gescheitelten Haars immer wieder auf die Ähnlichkeit mit einem Schauspieler angesprochen wurde und der sich um diese Abendstunde in der Bar um das Wohl der Gäste kümmerte, fielen sofort zwei Dinge an Melanie Schwarz auf. Dass sie vollkommen verändert war, seit er ihr das Paket ausgehändigt hatte – sie wirkte auf merkwürdige Weise beschwipst. Und dass sie unter ihrem hellblauen Kleid keine Wäsche trug. Es war dem Personal des Hotels von der Geschäftsführung natürlich untersagt, mit den Gästen persönliche Beziehungen

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