Der Regler
stimmte. Natürlich liefen die Väter der Patientinnen Sturm gegen die Therapeuten. Mit Erfolg: Einige von ihnen saßen heute im Gefängnis, allen wurde die berufliche Qualifikation aberkannt. Keiner durfte mehr als Therapeut arbeiten.
»Wohl zu Recht«, sagte Maler. »Man darf doch keine derart dramatisch falschen Behauptungen in die Welt setzen.«
»Ganz bestimmt«, sagte Treysa. »Lassen Sie mich trotzdem zwei Dinge festhalten. Erstens: Die Patientinnen haben es geglaubt, auch nach den Verurteilungen der Therapeuten. Sie waren fest davon überzeugt, dass ihre Väter das getan hatten. Sie sind also in der Hypnose umprogrammiert worden. Zweitens: Den Patientinnen ging es viel besser als vorher. Das konnte keiner bezweifeln. Den Frauen tat es außerordentlich gut, einen Schuldigen für ihre Leiden gefunden zu haben. Auch wenn er gar nicht schuldig war.«
»Und wie beurteilte Professor Kufner die Arbeit dieser amerikanischen Therapeuten?«, fragte Maler.
»Nach außen verurteilte er sie scharf, das tat er auch in meinem Interview. Aber geglaubt habe ich ihm das nicht so recht. Denn im Kern hatte Kufner eine Philosophie, die heute viele moderne Psychotherapeuten vertreten: Es gibt keine Wahrheit, sondern nur Konstruktionen persönlicher Wahrheiten. Und das gilt im Besonderen für die Seele. Lassen Sie es mich so sagen: Wenn ein Patient Panikattacken hat, und er bekommt eine plausible Erklärung, warum er sie hat, dann hilft ihm das. Ob das dann wahr ist? Hauptsache, es hilft.« Dies sei das Feld von Professor Kufner gewesen, sagte Treysa, hier habe er geforscht. Kufner habe von neuen Konstruktionen gesprochen, die der Therapeut zusammen mit seinen Klienten entwickeln müsse. Kufner, sagte Treysa, sprach immer von
Klienten
, er mochte das Wort Patient nicht.
Maler wollte gerade etwas sagen, da meldete sich der Papagei aus dem anderen Zimmer. Zwei-, dreimal hintereinander war laut und deutlich ein »Wau!« zu hören.
Treysa erzählte von einem Abendessen mit Kufner in Wien. Auch Kufners Frau war dabei gewesen, ebenfalls eine Psychologin. Ein sehr netter Abend sei es gewesen. Ein hübsches Restaurant, dass Essen ganz wunderbar, Tafelspitz und dann noch diese wunderbaren Salzburger Nockerln zum Nachtisch. »Na ja, jedenfalls hatten alle ein bisschen viel Wein getrunken, und irgendwann erzählte Frau Kufner, wie ihr Mann einmal eine nervige Freundin bei Kaffee und Kuchen ruhigstellte.«
»Ruhigstellte?«, fragte Maler.
»Ja, hört sich seltsam an. Aber er hat diese anstrengende, immer zu laute Freundin während eines Kaffeekränzchens in eine Art Trance versetzt. Ich habe nachgefragt, und Frau Kufner sagte, ihr Mann habe dazu bestimmte Codeworte benutzt, die er immer wieder wiederholt habe im Zwiegespräch mit ihr. Wenn man so will, hat er also eine laute in eine leise Frau umprogrammiert. Wenn Sie mich fragen, Herr Kommissar, eine echte Geschäftsidee.« Treysa lachte.
Maler lachte auch und trank dann sein Wasser aus. »Sagen Sie, Sie schreiben in Ihrem Artikel vom
höchstumstrittenen
Psychiatrieprofessor. Warum war er so umstritten? Wahrscheinlich nicht wegen solcher Kaffeekränzchen.«
»Ich sagte schon, Kufner war sehr charismatisch. Und er hatte einen Hang dazu, sich als genialen Professor zu inszenieren, der die Welt veränderte. Einmal sagte er zu mir: ›Stellen Sie sich vor, man könnte die kranken Seelen dieser Welt umprogrammieren …‹«
Maler fragte noch einmal: »Deshalb war er so umstritten? Die Neuauflage des alten Frankenstein-Themas? Nur diesmal in der Psychologie?«
»Ja, das trifft es. Viele von den sogenannten seriösen Wissenschaftlern mögen keinen Größenwahn, vor allem nicht bei anderen. Dazu kamen bei Kufner immer wieder Gerüchte. Kufner war sehr reich, angeblich. Er selbst sprach darüber nicht. Aber es gab eben Gerüchte, dass er einflussreichen Wirtschaftsleuten seine Fähigkeiten zur Verfügung stellte. Auch von internationalen Geheimdiensten war die Rede. Nie ist irgendetwas bewiesen worden. Kufner lachte nur, wenn man ihn darauf ansprach.«
Das Gespräch war zu Ende, und Treysa begleitete den Kommissar zur Tür.
Maler fragte: »Halten Sie es für möglich, dass jemand Kufner wegen seiner Arbeit umgebracht hat?«
»Da fragen Sie den Falschen. Ich bin nur der kleine Chefredakteur einer noch kleineren Psychologie-Zeitschrift.«
»Wie wird man so was eigentlich?«
»Bei mir war die Sache so: Ich war auch mal Therapeut, gar kein so schlechter, glaube ich, aber die Leute mochten
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