Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der reiche Mann

Der reiche Mann

Titel: Der reiche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
nervös und fast gereizt anblickte, und sie antwortete ausweichend: »Ich glaube.«
    Oder aber: »Warum sollte ich es nicht sein?«
    Ihre Verschlossenheit ängstigte ihn. Es war schwer, irgendein Gefühl in ihrem Gesicht zu lesen. Sie tat, was sie tun mußte, so gut sie es konnte, aber ohne Schwung und Begeisterung.
    Gleich am Morgen küßte er sie in der Küche, und ihre scheinbare Gleichgültigkeit enttäuschte ihn immer.
    »Ihr Frühstück ist fertig.«
    Ihre Lippen blieben unter den seinen geschlossen. Sie schien diese wiederholten Liebesbeweise mit Mißtrauen zu betrachten.
    Er sagte sich, sie sei noch nicht daran gewöhnt, und er wartete mit Ungeduld auf den Abend, denn dann hatte er wenigstens die Illusion, daß sie ihre Scheu ablegte.
    Sein Besuch im zweiten Stock war ein Ritus geworden. Sie verriegelte ihre Tür nicht mehr, und am Dienstag hatte er sie in dem mit Seifenwasser gefüllten Waschzuber sitzend vorgefunden.
    Das war ein Schritt weiter in ihrer Beziehung. Sie hatte nicht versucht, sich mit dem Handtuch zu bedecken. Sie hatte sich weiter gewaschen, während er sich eine Zigarette drehte.
    Nur noch ein Tag: Mittwoch. Und danach? Er würde zu dem Begräbnis nach Cholet fahren und von dort mit seiner Frau zurückkommen. Sie würde dann wieder ihren Platz im Ehebett einnehmen.
    Er wollte gar nicht daran denken. Er lebte von einem Tag, von einer Stunde zur anderen, und immer wieder kamen Augenblicke der Angst, als ob er sich vor der Zukunft fürchtete.
    Theo grinste weiter, wenn er zu Mimik kam. Das war bei ihm ein Tick. Schon in der Schule war er so gewesen. Er hatte es nur seiner Schwäche zu verdanken, daß er nicht öfter verprügelt wurde. Er war immer bissig und spöttisch.
    »Man darf nicht darauf achten. Er ist ein armer Kerl.«
    Ein unsympathischer armer Kerl, der immer alle anderen beneidete.
    Er hatte einen sehr strengen Vater, der ihn in einem Zimmer einsperrte, bis er seine Schulaufgaben gemacht und seine Lektionen gelernt hatte. Der Vater war jetzt tot. Seine kränkliche Mutter hauste hoch über dem Laden in einem dumpfen Zimmer, wo Theos Frau sie aufsuchte, um ihr behilflich zu sein und ihr Essen zu bringen.
    Sie war nicht mehr ganz richtig im Kopf, wie man sagte. Wenn man vorbeikam, sah man nur ein blasses Gesicht hinter dem Fenster. Die Leute vorübergehen zu sehen, war ihre einzige Zerstreuung.
    Am Mittwoch saß Victor Lecoin allein bei Tisch, und Alice aß in der Küche, als das Telefon läutete. Er stürzte ins Büro. Er wußte sofort, es war seine Frau. Was mochte sie wohl jetzt von ihm wollen?
    »Bist du gerade beim Essen?«
    »Ja.«
    »Dann verzeih, aber ich fürchtete, dich zu einer anderen Zeit zu verfehlen. Es wird eine sehr große Beerdigung werden, das wollte ich dir nur sagen.
    Die Weberei wird geschlossen, und alle Angestellten nehmen daran teil. Ebenso die mit Bernard befreundeten Honoratioren von Cholet.
    Man hat Hortense schon aufgebahrt. Die Schwiegertochter ist mit dem Flugzeug aus Kanada gekommen. Wir halten abwechselnd die Totenwache.«
    Er hätte am liebsten gesagt: ›Und was geht das mich an?‹
    Hortense war nicht seine Schwester, sondern Jeannes. Er kannte sie kaum, denn sie hatten sich nur selten gesehen. Bernard Bertaut, ihr Mann, war ihm sympathisch, blieb ihm aber trotzdem fremd.
    »Ich rufe an, um dich zu bitten, schon frühzeitig zu kommen. Es ist besser, du bist hier, ehe die Trauergäste und die anderen Mitglieder der Familie erscheinen.«
    »Was nennst du frühzeitig?«
    »Um neun Uhr spätestens. Das Seelenamt ist um zehn Uhr. Es werden sehr viele daran teilnehmen. Nach der Beerdigung werden die Verwandten und Freunde im Hotel de la Couronne zu Mittag essen.« Sie fragte ihn nicht nach Alice. Sie sprach nicht einmal deren Namen aus, sondern sagte nur: »Sorgt man gut für dich? Fehlt es dir an nichts?«
    »Nein. Es geht alles gut.«
    »Bis morgen. Aber ich bitte dich noch einmal, sei frühzeitig hier.«
    Er kannte das Haus am Stadtrand unweit der aus hellroten Ziegeln gebauten Werkstätten. Es war groß, wirkte aber selbst bei strahlender Sonne freudlos und düster.
    »Es war meine Frau«, fühlte er sich verpflichtet, zu Alice zu sagen. Sie hob den Kopf von ihrem Teller und fragte nur: »Geht’s ihr gut?«
    »Wahrscheinlich. Ich habe sie nicht danach gefragt.«
    Er aß weiter, und als er fertig war und sie den Tisch abräumte, ging er mit einem Glas Wein in der Hand in den Salon, um fernzusehen. Dies war endgültig der letzte Abend. Es sollte ein

Weitere Kostenlose Bücher