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Der reiche Mann

Der reiche Mann

Titel: Der reiche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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meinen Vater kommen lassen, der es trotz seines Alters mit einem jungen Knecht aufnehmen konnte.
    Hectors Frau ist zu ihrer Familie in die Nähe von Rochefort gezogen. Ich habe sie seitdem zwei- oder dreimal gesehen. Sie ist sehr gealtert.«
    Er hätte ihr gern die kleinsten Einzelheiten erzählt, um sie ein wenig an seinem Leben teilnehmen zu lassen, aber er fürchtete, sie anzuöden, wenn er nur von sich sprach.
    »Ich komme jetzt zu dem Wichtigsten. Ich glaubte, eine Frau geheiratet zu haben. In den ersten Monaten habe ich mir gesagt, sie werde es allmählich werden, aber dann ging mir auf, daß sie frigide war.«
    »Was bedeutet das?«
    »Daß es ihr keine Freude machte, mit mir zu schlafen. Im Gegenteil, sie ekelte sich davor. Und da habe ich begonnen, hin und wieder zu den Mädchen in La Rochelle zu gehen.«
    »Lieben Sie sie deswegen nicht mehr?« fragte sie.
    »Nein, im Grunde habe ich sie nie wirklich geliebt. Sie gefiel mir. Ich liebte ihre Gesellschaft. Sie tat ihre Arbeit und machte sie gut. Sie versuchte nicht, mir meine Freiheit zu nehmen.«
    »Ist sie nicht eifersüchtig?«
    »Ganz und gar nicht.«
    »In der vorigen Woche…«, begann sie.
    Da sie verstummte, drängte er sie, weiterzusprechen.
    »Sag, was du sagen wolltest.«
    »Sie sind zweimal ein wenig… ein wenig…«
    »Betrunken nach Hause gekommen. Man darf keine Angst vor Worten haben.«
    »Waren Sie da bei den Mädchen, wie Sie sagen?«
    »Ja. Deinetwegen.«
    »Wieso meinetwegen?«
    »Ich hatte ein tolles Verlangen, dich an mich zu drücken. Ich schlich um dich herum und dachte den ganzen Tag nur an dich. Ich habe mich abzulenken versucht, aber das hat nicht geklappt.«
    »Ihre Frau mußte erst fort sein«, murmelte sie.
    »Weil ich es nicht heimlich mit dir treiben wollte.«
    »Ich glaube, ich verstehe. Und wann kommt sie wieder?«
    »Ich werde dann wahrscheinlich nicht mehr in dein Zimmer kommen und ihr sagen, ich ginge zu dir. Sie ahnt es übrigens. Sie hat sofort gemerkt, vielleicht vor mir, daß ich dich liebe. Und du?«
    »Ich habe gedacht, Sie würden mich liebkosen wollen, vielleicht noch etwas weitergehen.«
    Sie schwiegen. Ihr Atem wurde allmählich zu einem Keuchen, und etwas später drang er wieder in sie. Er hatte sich noch nie klargemacht, daß das etwas fast Feierliches hatte. Er tat es mit Bedacht und versuchte dabei, in ihren Augen zu lesen.
    Diesmal stöhnte sie fast sofort, ein dumpfes, anhaltendes Stöhnen, mit dem sie ihre Lust bekundete.
    »Werde ich auch kein Kind bekommen?« fragte sie nach dem Akt.
    »Nein. Ich bin vorsichtig.«
    »Ach«, sagte sie nur.
    Aber in Wirklichkeit wußte sie gewiß nicht, was er damit sagen wollte.
    »Meinen Sie nicht, daß es schon spät ist?«
    »Ich weiß nicht, wie spät es ist. Aber es stimmt, du mußt jetzt schlafen.«
    Er küßte sie lange leidenschaftlich und zugleich dankbar.
    »Du kannst dir nicht vorstellen, was das für mich bedeutet.«
    Er machte kein Licht, und während er hinunterging, hörte er, wie sie den Riegel hinter ihm zuschob.
    Wie am Abend zuvor ging er ins Erdgeschoß, und auch wie am Abend zuvor goß er sich einen Cognac ein, knipste die Lampe im Salon an und setzte sich in einen Sessel.
    Es war ein so erfüllter Abend gewesen, daß er ihn in Gedanken noch einmal auskosten wollte. Es war ein wenig, als hätte er den Höhepunkt seines ganzen Lebens erreicht, das er ihr in Bruchstücken erzählt hatte.
    Noch nie hatte er sich jemandem anvertraut. Er selbst dachte selten an die Vergangenheit, aber Alice sollte ihn kennen und sich kein falsches Bild von ihm machen.
    Er hatte reich werden wollen, zumindest reich im Vergleich zu den anderen Bewohnern von Marsilly und Esnandes. Es war ihm geglückt, weil er gegen sich ebenso hart war wie gegen die anderen. Er mußte sich für seine Jugend rächen. Er hatte seinen Bruder aufnehmen müssen, der sonst wahrscheinlich vor die Hunde gegangen wäre. Er hatte auch vor fast fünfzehn Jahren den Taubstummen auf seinen Hof geholt. Dieser hatte für Lecoin eine geradezu unbändige Zuneigung gefaßt, die mehr der Anhänglichkeit eines großen Hundes als einem menschlichen Gefühl ähnelte.
    Auf bloßen Füßen folgte er ihm überallhin, und selbst wenn er nicht mit ihm zusammen war, erriet Doudou, was er tat.
    Er hatte einen fast unheimlichen Instinkt. Fast immer kam er den Wünschen seines Herrn zuvor und verzog dann seinen großen Mund zu einem seligen Lächeln.
    Er schien zu sagen: ›Da hab’ ich dich wieder mal!‹
    Aber er

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