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Der reiche Mann

Der reiche Mann

Titel: Der reiche Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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besonderer Abend werden, dessen er sich erinnern würde, wenn ihre Beziehungen von nun an weniger intim werden würden und sie nur noch selten zusammen sein könnten.
    Er ging hinter ihr die Treppe hinauf, sagte sich, daß alles so war wie immer, als ob er sich damit Mut machen wolle.
    »Ich muß morgen um halb acht abfahren.«
    »Nehmen Sie den Taubstummen mit?«
    »Nein, er wird allein zu den Muschelbänken gehen. Er muß zu Fuß gehen, denn er hat keinen Führerschein, und muß sich damit begnügen, die Bänke zu säubern.«
    Sie zog sich jetzt vor ihm aus, als hätte sie das ihr Leben lang getan. Sie bat ihn nicht mehr, das Licht auszumachen. Ja, es gab kleine Verrichtungen, an die er sich gewöhnte, die ihm vertraut wurden, so zum Beispiel, daß sie sich die Zähne putzte und dann die Haare bürstete.
    Sie zeigte keine Ungeduld. Sie würden es treiben. Na und? Taten nicht Hunderttausende von Paaren zur selben Zeit das gleiche?
    Er hätte gewünscht, daß es etwas Besonderes, etwas anderes war. Sie legte sich ins Bett, und, ohne das Licht auszumachen, legte er sich neben sie.
    »Sag, Alice, liebst du mich jetzt ein ganz klein wenig?«
    Es war das x-te Mal, daß er sie das fragte.
    Sie schien nachzudenken, dann antwortete sie ehrlich: »Ich weiß es nicht.«
    »Denkst du am Tag manchmal an mich?«
    »Ich habe nicht viel Zeit dazu.«
    »Stellen die Leute in den Läden dir keine Fragen?«
    »Nein. Sie starren mich wie ein Wundertier an, und wenn ich den Laden verlasse, höre ich die Frauen hinter mir flüstern.«
    »Die Rückkehr meiner Frau darf an unserer Beziehung nichts ändern. Das ist sehr wichtig für mich. Ich hatte bis dahin noch nie jemanden geliebt. Ich wußte gar nicht, was Liebe ist. Jetzt könnte ich dich nicht mehr entbehren.«
    Und da sie nichts darauf erwiderte und zur Decke blickte: »Woran denkst du?«
    »An das, was du da sagst.«
    »Was meinst du dazu?«
    »Ich weiß nicht, wie du das machen willst. Sie ist schließlich deine Frau.«
    »Ich könnte mich scheiden lassen.«
    »Unter welchem Vorwand? Glaubst du, daß sie dazu bereit wäre?«
    Er wußte nur allzu gut, sie war es nicht. Jeanne hatte Prinzipien, sie war Madame Lecoin und würde es bis zu ihrem Tod bleiben.
    »Vielleicht werden wir eines Tages zusammen fortgehen.«
    Er kam wieder auf seine fixe Idee zurück. Wohin gehen? War er nicht in Marsilly viel zu sehr verwurzelt, um woanders leben zu können? Würde ihm nicht das alles fehlen, das Haus, die Muschelbänke und seine Arbeit dort jeden Morgen? Dann die Einkehr bei Mimile und am Nachmittag das Aufgeben der Frachtsendungen auf dem Bahnhof in La Rochelle.
    Er war sich klar darüber, daß alle seine Pläne nicht zu verwirklichen waren, aber er wollte sich einreden, daß er so oder so Alice nicht verlieren würde.
    »Würde es dir fehlen, wenn ich nicht jeden Tag heraufkäme?«
    »Vielleicht.«
    Sie sagte nicht ein eindeutiges Ja. Manchmal verstand er sie nicht. Es gab Augenblicke, da glaubte er, sie sei ihm ganz nah, aber schon ein wenig später schien sie ihm fern und gleichgültig.
    Er nahm sie leidenschaftlicher als sonst, fast wie ein Rasender. Und er las Angst in ihren Augen.
    Diesmal zog er sein Glied nicht heraus. Es war ihm gleich, wenn er ihr ein Kind machte. Es würde sein, ihrer beider Kind sein, und Jeanne würde es wohl oder übel im Hause aufnehmen müssen.
    Überrascht fragte sie ihn: »Was hast du getan?«
    Und er antwortete kategorisch: »Mich ergossen.«
    »Fürchtest du nicht, daß ich schwanger werde?«
    »Und wennschon! Ich wäre glücklich, ein Kind von dir zu haben.«
    Sie war verblüfft. Er verstand sie nicht immer, aber sie verstand ihn auch nicht. Er lag auf dem Rücken, als wäre das schon eine Gewohnheit. Der Unterschied war, daß er sie bei Licht sah.
    Er mußte mit ihr sprechen, ohne recht zu wissen, worüber, nur um in Kontakt mit ihr zu bleiben.
    »Eines Tages wirst du mir dein Leben erzählen.«
    »Da gibt’s nichts zu erzählen. In Heimen ist ein Tag wie der andere.«
    »Waren sie sehr streng?«
    »Es waren keine Männer, es waren Schwestern.«
    »Mußtest du zur Messe gehen?«
    »Jeden Morgen. Wir standen um sechs Uhr auf und hatten zehn Minuten Zeit, um uns zu waschen und anzuziehen.«
    »Hattest du ein Zimmer für dich allein?«
    »Wir waren sechs in jedem Zimmer.«
    »Hattest du Freundinnen?«
    »Kameradinnen. Nach der Messe bekamen wir eine Tasse Kaffee und Brot. Danach hatten wir zwei Stunden Unterricht. Die Schwestern legten großen Wert darauf,

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