Der reiche Mann
konnte auch wütend werden, blind in seinem Zorn, wie er wieder bewiesen hatte, als er sich auf Theo hatte stürzen wollen. Er kannte seine Kraft nicht, zumal nicht die seiner großen knotigen Hände, die an Gorillahände denken ließen.
Doudou kam selten ins Haus, und wenn, dann höchstens in die Küche, um dort Austern abzuliefern oder irgendein Paket, das er abgeben sollte.
Für ihn existierte Jeanne nicht. Sie gehörte nicht zu seiner kleinen Welt. Vielleicht war er dahintergekommen, daß sie gar nicht wirklich Lecoins Frau war, sondern eine Angestellte, die im Büro arbeitete.
Was dachte er jetzt von Alice und Lecoins Gefühlen ihr gegenüber? Ihm war das bestimmt nicht verborgen geblieben, und Lecoin fragte sich, ob er auf sie eifersüchtig war.
Man konnte es unmöglich sagen. Er war undurchdringlich.
Über das alles hatte er mit Alice nicht gesprochen. Er hatte nicht die Zeit dazu gehabt. Von diesem Abend blieb ein Gefühl des Wohlbehagens und der Wärme in ihm zurück. Es schien ihm, er habe einen wichtigen Schritt getan, habe ihr endlich die Scheu genommen.
Sie hatte gesprochen. Sie hatte sogar zwei oder drei Fragen gestellt. Und vor allem waren ihre Sinne geweckt worden, und das Liebesspiel erschien ihr nicht mehr wie eine Plage.
Was sie beunruhigte – und auch ihn beunruhigte –, war Jeanne, mit der er am Donnerstag gleich nach der Beerdigung zurückfahren würde. Er wollte nicht zuviel daran denken, um sich nicht die Freude zu verderben, aber es lauerte als ernstes Problem im Hintergrund.
Er goß sich ein zweites Glas ein. Alice schlief gewiß schon. Er hätte gern bei ihr geschlafen, und er hoffte, sie würde eines Tages darin einwilligen.
Schließlich ging er hinauf, um zu Bett zu gehen. Als er im Bett lag, roch er Alices Geruch auf seiner Haut und sog ihn gierig ein.
»Gute Nacht, kleines Mädchen«, sagte er leise.
Er versank sofort in tiefen Schlaf, und als er die Augen aufschlug, war es Zeit, aufzustehen. Es war heute sehr früh Ebbe. Er mußte rasch frühstücken, wobei er dem Mädchen vergnügt zublinzelte.
»Zufrieden?«
»Ja.«
»Hast du gut geschlafen?«
»Ja.«
Sie war trotzdem etwas blaß vor Müdigkeit.
»Eines Tages werde ich dich zu den Muschelbänken mitnehmen.«
Sie sagte zu allem, was er vorschlug, ja, aber sie war vielleicht nicht allzu überzeugt, daß es wirklich dazu kommen würde.
Er küßte sie, ehe er ging, und fand Doudou schon in der Garage vor. Sie setzten sich beide in die Fahrerkabine des Lastwagens.
»Morgen, Doudou. Es wird ein sonniger Tag werden.«
Er wußte, der Taubstumme hörte nichts, aber er sprach trotzdem mit ihm, denn Doudou las ihm die Worte von den Lippen.
Er deutete auf den Himmel, und dann zeichneten seine Hände einen Kreis in die Luft, der die Sonne darstellen sollte.
Lecoin war glücklich. Noch nie in seinem Leben war er so entspannt gewesen. Er schob alle Probleme von sich.
Warum sollte er Jeanne nicht offen sagen, was geschehen war? Im ersten Stock, dem Schlafzimmer gegenüber, war ein leeres Zimmer, das man als Obstkammer benutzte. Er könnte daraus ein Schlafzimmer für Alice und für sich machen.
Das war einfach und war normal. War es nicht besser, als den Mädchen in La Rochelle nachzulaufen oder mit der einen oder anderen im Dorf zu schlafen, auf die Gefahr hin, von einem eifersüchtigen Ehemann ertappt zu werden?
Es war wirklich zu einfach. Jeanne war Madame Lecoin, und selbst wenn das nur eine Fiktion war, sie klammerte sich an diese Fiktion.
»Ach, mein lieber Doudou, wie kompliziert kann das Leben sein!«
Der Taubstumme nickte, als wäre das auch seine Meinung, aber beim Anblick der Muschelbänke, an denen sie arbeiten würden, und des Himmels, an dem die Sonne aufging und langsam höher stieg, war Lecoin sofort wieder heiter.
Das Meer war heute glatt und glänzend, und selbst am Ufer kräuselte sich das Wasser kaum.
6
Jeden Morgen, während er mit dem Taubstummen bei den Muschelbänken war, machte sie die Besorgungen. Sie hatte sich schnell mit den verschiedenen Läden in Marsilly vertraut gemacht, und alle musterten sie neugierig, wenn sie von einem zum anderen ging, mager und langbeinig, mit reglosem Gesicht, ihre Einkaufstasche in der Hand.
Victor Lecoin wurde immer demütiger ihr gegenüber. Schön wenn sie die Brauen runzelte oder auch nur mechanisch die Lippen verzog, machte er sich Gedanken. Mehrmals am Tag sagte er zu ihr: »Bist du glücklich?«
Er hatte das Gefühl, daß sie ihn dann
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