Der Reisende
für ihre Selbstsucht noch belohnt. Sie würde bleiben und Vater bei seiner Arbeit helfen.
Und doch konnte sie nicht einmal das, jedenfalls nicht auf Dauer. Wenn ihr Vater sie ansah – oder besser gesagt, wenn er sie nicht ansah – fühlte sie, wie seine Trauer in ihr Herz stach. Er wußte, daß sie es hätte verhindern können. Und obwohl er sich sehr bemühte, sie dafür nicht zu tadeln, mußte sie nicht seine Worte hören, um zu wissen, was in seinem Herzen vorging. Nein, sie mußte auch nicht ihr Talent einsetzen, um seinen Herzenswunsch zu sehen, seine bitteren Erinnerungen. Sie wußte es, ohne hinzuschauen, weil sie ihn genau kannte, wie Kinder ihre Eltern kennen.
Dann kam ein Tag, an dem sie es nicht länger ertragen konnte. Sie hatte schon einmal ihr Zuhause verlassen, als Mädchen, und damals nur einen Zettel zurückgelassen. Diesmal ging sie mit mehr Mut, trat ihrem Vater gegenüber und sagte ihm, daß sie nicht bleiben konnte.
»Dann habe ich nicht nur meine Frau, sondern auch meine Tochter verloren?«
»Deine Tochter wirst du immer behalten«, sagte Peggy. »Aber die Frau, die den Tod deiner Gattin hätte verhindern können und es nicht getan hat – diese Frau kann hier nicht mehr wohnen.«
»Habe ich irgend etwas gesagt? Habe ich durch ein Wort oder durch eine Tat …«
»Es ist dein Talent, die Leute dazu zu bringen, sich unter deinem Dach willkommen zu fühlen, Vater, und du hast bei mir dein Bestes versucht. Aber kein Talent kann die schreckliche Last wegnehmen, die auf meiner Seele liegt. Keine Liebe oder Freundlichkeit, die du mir erweist, kann – vor mir – verbergen, was du schon bei meinem bloßen Anblick erleidest.«
Vater wußte, daß er seine Tochter nicht länger täuschen konnte; schließlich war sie ja eine Fackel und so weiter. »Ich werde dich mit ganzem Herzen vermissen«, sagte er.
»Und ich werde dich vermissen, Vater«, antwortete sie. Mit einem Kuß, mit einer kurzen Umarmung verabschiedete sie sich. Erneut fuhr sie in Whitley Physickers Kutsche nach Dekane. Dort besuchte sie eine Familie, die ihr vor langer Zeit einmal große Freundlichkeit erwiesen hatte.
Sie blieb jedoch nicht lange, kurz darauf nahm sie die Kutsche nach Franklin, der Hauptstadt von Appalachee. Dort kannte sie niemanden, aber sie würde bald Leute kennenlernen – kein Herz konnte ihr gegenüber verschlossen bleiben, und sie fand schnell jene Leute, die die Institution der Sklaverei so sehr haßten wie sie auch. Ihre Mutter war gestorben, weil sie einen halbschwarzen Jungen wie ihren eigenen Sohn in ihr Haus, in ihre Familie aufgenommen hatte, obwohl er laut Gesetz irgendeinem Weißen unten in Appalachee gehört hatte.
Der Junge, Arthur Stuart, war noch immer frei und wohnte bei Alvin in der Stadt Vigor Church. Aber die Institution der Sklaverei, die sowohl die leibliche als auch die Adoptivmutter des Jungen getötet hatte, hatte ebenfalls überlebt. Es bestand keine Hoffnung, sie in den Ländereien des Königs im Süden und Osten zu verändern, aber Appalachee war die Nation, die durch das Opfer George Washingtons und unter der Führung Thomas Jeffersons die Freiheit gewonnen hatte. Es war ein Land hoher Ideale. Sicher konnte sie hier einen gewissen Einfluß ausüben, um in diesem Land das Übel der Sklaverei auszumerzen. Hier in Appalachee war Arthur Stuart empfangen worden, als ein grausamer Herr seine hilflose Sklavin vergewaltigt hatte. Also würde Peggy auch hier in Appalachee leise, aber geschickt manövrieren, um jenen zu helfen, die die Sklaverei haßten, und jene zu behindern, die sie aufrechterhalten wollten.
Sie reiste natürlich unter falscher Flagge. Hier kannte sie zwar niemand, aber sie mochte nicht gern mit Peggy Guester angesprochen werden, denn das war auch der Name ihrer Mutter. Statt dessen reiste sie als Miss Larner, begabte Französisch-, Latein- und Musiklehrerin, und in dieser Tarnung gab sie Unterricht, hier ein paar Wochen, dort ein paar Wochen. Sie unterrichtete Meisterklassen, bildete in zahlreichen Städten und Dörfern die Schulmeister aus.
Obwohl sie ihre öffentlichen Lektionen pflichtbewußt abhielt, war sie hauptsächlich daran interessiert, das Feuer in den Herzen jener zu suchen, die die Sklaverei verabscheuten, oder jene, denen, wenn sie es nicht wagten, ihren Abscheu einzugestehen, zumindest so unbehaglich zumute war, daß sie sich ständig entschuldigten, Sklaven zu besitzen. Diejenigen, die darauf achteten, sanft zu sein, diejenigen, die ihren Sklaven
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