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Der Reisende

Der Reisende

Titel: Der Reisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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insgeheim erlaubten, lesen und schreiben und rechnen zu lernen. Diese Gutherzigen wagte sie zu ermutigen. Sie appellierte an sie und sprach Worte zu ihnen, die vielleicht bewirkten, daß sie, wie gering und schwach ihre Worte auch sein mochten, Pfade im Leben einschlugen, auf denen sie Mut gewannen und sich gegen das Böse der Sklaverei aussprachen.
    Auf diese Weise half sie ihrem Vater noch immer bei seiner Arbeit. Denn hatte der alte Horace Guester nicht seit vielen Jahren sein Leben aufs Spiel gesetzt, indem er entflohenen Sklaven half, über den Hio und nach Norden ins französische Territorium zu fliehen, wo sie keine Sklaven mehr waren und wohin die Fahnder ihnen nicht folgen konnten? Sie konnte nicht bei ihrem Vater leben, sie konnte ihm keinen Teil seiner Trauerlast nehmen, aber sie konnte sein Werk fortsetzen und es schließlich und endlich vielleicht sogar überflüssig machen, indem sie nicht einen Sklaven nach dem anderen, sondern alle Sklaven Appalachees gleichzeitig befreite.
    Werde ich dann würdig sein, zurückzukehren und vor ihn zu treten? Werde ich dann meine Schuld beglichen haben? Wird Mutters Tod dann irgendeine Bedeutung haben, statt nur die wertlose Folge meiner Achtlosigkeit zu sein?
    Doch der schwerste Teil ihrer Aufgabe war: Sie weigerte sich, sich ablenken zu lassen, indem sie an Alvin Smith dachte. Einst war er der Brennpunkt ihres Lebens gewesen, denn sie war bei seiner Geburt anwesend, hatte die Schafhaut von seinem Gesicht geschält und ihn in den darauffolgenden Jahren mit der Macht des getrockneten Amnions gegen alle Angriffe des Unschöpfers geschützt. Als er dann zum Mann wurde und seine eigenen Kräfte sich so weit entwickelten, daß er sich zum größten Teil selbst schützen konnte, war er noch immer der Mittelpunkt ihres Herzens, denn sie hatte sich in den Mann verliebt, zu dem er geworden war. Danach war sie nach Hatrack River zurückgekehrt, zum erstenmal in ihrer Tarnung als Miss Larner, und dort hatte sie ihm und Arthur Stuart die Ausbildung aus Büchern geboten, nach der beide dürsteten. Und die ganze Zeit über, da sie ihn unterrichtete, versteckte sie sich hinter den Hexagrammen und Zaubern, die ihr wahres Gesicht und ihren wahren Namen verbargen, versteckte sich und beobachtete ihn wie eine Spionin, wie eine Jägerin, wie eine Geliebte, die sich nicht zu zeigen wagt.
    Sie war noch auf diese Weise getarnt, als er sich auch in sie verliebte. Es war alles gelogen, eine Lüge, die ich ihm, eine Lüge, die ich mir selbst erzählt habe.
    Also würde sie jetzt nicht nach seinem hellen Herzensfeuer suchen, wenngleich sie wußte, daß sie es in einem Augenblick finden würde, ganz gleich, wie weit entfernt er war. Sie mußte in ihrem Leben ein anderes Werk vollbringen. Sie mußte andere Dinge bewerkstelligen oder ungeschehen machen.
    Und das war das Beste an ihrem neuen Leben: Jeder, der etwas über die Sklaverei wußte, wußte, daß sie falsch war. Die Unwissenden – Kinder, die in einem Sklavenland aufwuchsen, oder Menschen, die nie Sklaven gehalten oder gesehen hatten, wie sie gehalten wurden, oder noch nie Schwarze gesehen hatten – sie mochten vielleicht glauben, daß damit alles in Ordnung war. Aber die, die es wußten, verstanden auch, daß Sklaverei falsch war.
    Viele von ihnen logen sich natürlich einfach etwas vor oder griffen auf Entschuldigungen zurück oder umarmten das Böse einfach bereitwillig – sie waren zu allem bereit, um ihren Wohlstand und Luxus, ihr Ansehen und ihre Ehre zu behalten. Aber viel mehr Menschen wurde aufgrund des Reichtums, der der Arbeit und dem Leiden der Schwarzen entsprang, die aus ihrem Heimatland geraubt und gegen ihren Willen auf diesen dunklen Kontinent Amerika gebracht worden waren, ganz elend zumute. Jene waren es, nach deren Herzen Peggy griff, besonders nach denen der Starken, derjenigen, die vielleicht den Mut hatten, etwas zu bewerkstelligen.
    Und ihre Bemühungen waren nicht vergeblich. Wenn sie einen Ort verließ, sprachen die Leute – nein, um die Wahrheit zu sagen, stritten sie – über Dinge, die sie zuvor öffentlich nie in Frage gestellt hatten. Natürlich gab es auch viel Leid. Einige von denen, deren Mut mit ihrer Hilfe geweckt worden war, wurden geteert und gefedert oder verprügelt, oder ihre Häuser und Scheunen wurden niedergebrannt. Aber die Exzesse der Sklavenhalter trugen nur dazu bei, den anderen zu verdeutlichen, wie dringend notwendig es war, Schritte einzuleiten und sich von einem System zu befreien,

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