Der Reisende

sollte. Zuerst kommandiert sie ihn herum wie einen Schuljungen. Dann spricht sie frotzelnd darüber, daß er noch immer ›tut‹ sagt. Dann bittet sie ihn praktisch, zu ihr zu kommen, aber auf so kalte Art und Weise, daß es ihn in den Knochen friert – »Es würde mich freuen, dich wiederzusehen«, ja gab’s denn so was? Für wen hielt sie sich, für die Königin? Und sie unterschrieb den Brief mit »Aufrichtig«, als wäre sie eine Fremde und nicht die Frau, die er liebte, die einmal gesagt hatte, sie liebe ihn auch. Worauf wollte sie hinaus, diese Frau, die so viele Zukünfte sehen konnte? Wozu wollte sie ihn bringen? Klar war, daß mehr vorging, als sie in ihrem Brief schrieb. Da sie mehr über die Zukunft wußte als andere Leute, hielt sie sich für so klug, aber in Wirklichkeit konnte sie Fehler machen wie jeder andere auch, und er wollte nicht, daß sie ihm sagte, was er tun sollte, er wollte, daß sie ihm sagte, was sie wußte, damit er dann seine eigenen Entscheidungen treffen konnte.
    Eins war sicher. Er würde nicht alles stehen und liegen lassen und sich auf die Suche nach Calvin machen. Zweifellos wußte sie genau, wo er war, und hatte sich nicht die Mühe gemacht, es ihm zu sagen. Was wollte sie denn damit bezwecken? Warum sollte er losziehen und Calvin suchen, wenn sie ihm doch einen Brief schicken und ihm nicht nur mitteilen konnte, wo Calvin jetzt war, sondern auch, wo er sein würde, wenn Alvin ihn eingeholt hatte? Nur ein Narr versucht, zu Fuß einer davonfliegenden Wildgans zu folgen.
    Ich weiß, daß ich diesen Ort irgendwann verlassen muß. Aber ich werde ihn nicht verlassen, um Calvin hinterherzujagen. Und ich werde ihn nicht verlassen, weil die Frau, die ich fast geheiratet hätte, mir einen herrischen Brief schickt, in dem nicht mal eine Andeutung steht, daß sie mich noch liebt, falls sie mich je wirklich geliebt haben sollte. Wenn Peggy so sicher war, daß er sowieso bald aufbrechen würde, ganz einfach, weil er es mußte, nun ja, dann konnte er genauso gut ganz einfach hier abwarten und feststellen, was ihn irgendwann zum Aufbruch zwingen würde.

5 Drehung

    Amerika war ein zu kleines Land für Calvin. Das wußte er jetzt. Alles war viel zu neu. Die Mächte eines Landes brauchten Zeit, um zu reifen. Die Roten, sie kannten das Land, aber sie waren fort. Und die Weißen und Schwarzen, die jetzt hier lebten, sie hatten nur seichte Kräfte, Talente und Hexagramme, Zaubersprüche und Träume. Nichts, was der uralten Musik ähnelte, von der Alvin gesprochen hatte. Dem grünen Lied des lebenden Waldes. Außerdem waren die Roten ja weg, und so mußte das, was auch immer sie gewußt hatten, schwach gewesen sein. Ihr Scheitern war Beweis genug dafür.
    Noch bevor Calvin wußte, wo sein Ziel lag, wußten seine Füße es. Der Osten. Manchmal ein kleines Stück gen Norden, manchmal ein kleines Stück gen Süden, aber stets gen Osten. Zuerst dachte er, er würde nur nach Dekane gehen, aber als er dort ankam, arbeitete er einen oder zwei Tage lang, um ein wenig Geld und etwas Brot in den Magen zu bekommen, und dann war er schon wieder unterwegs, über die Berge. Er folgte der neuen Eisenbahnstrecke nach Irrakwa, wo er ein wenig über die Männer und Frauen spotten konnte, deren Körper rot, aber deren Kleidung und Rede und Seele weiß waren. Noch mehr Arbeit, noch mehr Geld, noch mehr Übung, sein Schöpfen hier und da einzusetzen. Insgeheim hauptsächlich, weil er es nicht wagte, es öffentlich zu benutzen, da er befürchtete, die Leute würden es bemerken und die Kunde von ihm verbreiten. Also nur ein paar kleine Gefälligkeiten für Häuser, in denen man ihn gut behandelt hatte; eventuell vertrieb er sämtliche Mäuse und Kakerlaken von dem betreffenden Grundstück. Und denen, die ihn fortgeschickt hatten, zahlte er es heim. Er schickte eine Ratte in einen Brunnen und ließ sie dort sterben. Er verursachte über einem Mehlfaß eine undichte Stelle im Dach. Das war nicht einfach – das Holz anschwellen und dann wieder schrumpfen zu lassen. Aber er konnte mit dem Wasser arbeiten. Wasser ließ sich von ihm besser als jedes andere Element einsetzen.
    Doch es stellte sich heraus, daß seine Füße ihn auch nicht nach Irrakwa tragen wollten. Er zog an Irrakwa vorbei nach New Holland, wo alle Farmer Holländisch sprachen, und dann den Hudson hinab nach New Amsterdam.
    Als er die große Stadt an der Spitze der Insel Manhattan erreichte, dachte er, das sei vielleicht der Ort, den er suchte. Die größte