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Der Reisende

Der Reisende

Titel: Der Reisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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die Vorstellung gewöhnt, daß Calvin nach irgend etwas suchte, und schließlich sagte die alte Frau, bei der er Äpfel kaufte – diejenige, die ihm an seinem ersten Tag dort, als er kein Geld mehr gehabt hatte, einen Apfel geschenkt hatte, da sie selbst ein Mädchen vom Lande war, wie sie sagte; und die von diesem Tag an keine Würmer oder Fliegen mehr in ihren Äpfeln gefunden hatte – sie sagte zu ihm: »Tja, ich hoffe, du hast mit dem Bloody Man gesprochen, er weiß so einiges.«
    »Mit dem Bloody Man?«
    »Du weißt schon, derjenige, der eine schreckliche Geschichte erzählt, und wenn er keinen findet, dem er sie erzählen kann und der sie noch nicht kennt, tropft Blut von seinen Händen. Jeder kennt den Bloody Man. Er ist hierher gekommen, weil der Fluch auf ihm liegt, und er muß jeden Tag neue Leute finden, denen er seine Geschichte erzählen kann, und wo findet man schon ständig so viele neue Leute?«
    Natürlich wußte Calvin mittlerweile genau, von wem sie sprach. »Harrison ist hier?«
    »Du kennst ihn?«
    »Hab von ihm gehört. Er tat sich … er nannte sich eine Zeitlang Gouverneur von Wobbish. Schlachtete am Tippy-Canoe Tenskwa-Tawas Stamm ab.«
    »Das ist er. Schreckliche Geschichte. Dem Herrgott sei Dank, daß ich sie nur einmal hören mußte. Aber es liegt ‘ne gewisse Macht in der Tatsache, daß seine Hände ganz blutig werden. Ich meine, das ist seltsam, oder? Bei all den anderen Leuten, von denen man so hört, bei denen sieht man nie, daß sie wirklich was tun, wenn du weißt, was ich meine. Aber das Blut sieht man. Das ist Macht, schätze ich.«
    »Schätz ich auch.« Erneut verbesserte er sich. »Das glaube ich auch.«
    »Könntest genauso gut ›das kann ich mir vorstellen‹ sagen, wenn du schon versuchst, so hochtrabend zu quatschen.«
    »Ich will mich nur nicht anhören, als kam ich vom Land, das ist alles.«
    »Dann lern lieber Französisch. Alle hochstehenden Leute tun das. Hier sind wir in einer holländischen Stadt, in der alle Englisch sprechen, und sie gehen in ihre teuren Restaurants und bestellen ihr Essen auf Französisch! Was hatten die Franzosen denn je mit New Amsterdam zu tun? Wenn du dein Essen auf Französisch bestellen willst, dann geh nach Kanada, pfleg ich immer zu sagen!«
    Er hörte sich ihre Schmährede an, bis er sich endlich freimachen konnte – was bedeutete, bis sie endlich Kundschaft bekam –, und schickte sich dann an, Harrison zu finden. Weißer Mörder Harrison. Aus den Geschichten, die sein Vater und die Nachbarn erzählt hatten, wußte Calvin alles über den Fluch, der auf ihm lag, und er hatte sich manchmal vorgestellt, wie Harrison auf Landstraßen von einem Dorf zum anderen wanderte und die Leute ihn rauswarfen, bevor er sich niederlassen und seine schreckliche Geschichte erzählen konnte. Ihm war nie in den Sinn gekommen, daß Harrison in die große Stadt gegangen war, doch wenn man genauer darüber nachdachte, war es nur logisch. Der Bloody Man.
    Er fand ihn in einer Gasse hinter einem Restaurant, wo er jeden Abend von dem Geschäftsführer zu essen bekam, der nicht wollte, daß er seine Gäste ansprach. »Das ist eine harte Strafe«, sagte der Geschäftsführer. »Ich hatte in Kilkenny einen Vermieter, der an diese Art von Gerechtigkeit glaubte. Strafen, die ewig weitergingen. Bleibende Scham. Ich halte das für falsch. Mir ist es ziemlich gleichgültig, was dieser Mann getan hat. Wer von euch ohne Sünde ist, und so weiter. Also ißt er hinter meinem Restaurant. Solange er dem Geschäft nicht schadet.«
    »Ist das nicht überaus großzügig von Euch«, sagte Calvin.
    »Du hast einen ziemlich großen Mund, Junge. Ich bin tatsächlich großzügig, und auch aufgeschlossen, und nur, weil ich es weiß und mich dessen rühme, ist es nicht weniger wahr. Also steck dir deinen verschrobenen Humor sonstwo hin und verlasse mein Haus, wenn du nur mein Essen verzehren und dann über mich richten willst.«
    »Ich habe Euer Essen nicht verzehrt.«
    »Aber du wirst es«, sagte der Mann, »weil ich, wie ich gesagt habe, großzügig bin und du hungrig aussiehst. Und jetzt geh nach hinten in die Küche und sag dem Koch, daß er dir etwas für dich selbst und den Bloody Man draußen in der Gasse zu essen geben soll. Wenn du ihm sein Essen bringst, wird er wohl mit dir sprechen. Seine Geschichte wird er dir wohl auf jeden Fall erzählen.«
    »Ich kenne seine Geschichte.«
    »Jeder kennt vielleicht eine Geschichte, aber sie kennen nie dieselbe. Nun verschwinde von

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