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Der Reisende

Der Reisende

Titel: Der Reisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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Stadt in den Vereinigten Staaten. Und kaum noch eine holländische Stadt. Alle betrieben ihre Geschäfte in englischer Sprache, und darüber hinaus zählte Calvin ein Dutzend weiterer Sprachen, bis er das Interesse daran verlor, wie viele es waren. Ganz zu schweigen von den seltsamen englischen Akzenten, wie sie an Orten wie York und Glasgow und Monmouth gesprochen wurden. Sicherlich hatten sich hier alle Mundarten der Welt versammelt. Sicherlich konnte er hier Lehrer finden.
    Also blieb er ein paar Tage, eine Woche. Er versuchte es in dem College ein Stück weiter oben auf der Insel, aber dort wollten sie, daß er intellektuelle Dinge statt die Kunde der Macht studierte, und ziemlich bald fand Calvin heraus, daß die geschwollen redenden Professoren sowieso nichts Nützliches wußten. Sie behandelten ihn, als sei er verrückt. Ein alter Knacker mit einem weißen Ziegenbart versuchte eine halbe Stunde lang, Calvin zu überzeugen, sich von ihm studieren zu lassen, als sei er ein seltener Käfer oder so. Calvin blieb nur diese halbe Stunde und hatte daher nur Zeit, die Bindungen aller Bücher auf den Regalen des Mannes zu lösen. Sollte er sich doch den Kopf über Calvins Art des Wahnsinns zerbrechen, während die Seiten eines jeden Buches, das er in die Hand nahm, sich lösten und zu Boden fielen.
    Wenn die Professoren schon nichts wert waren, waren die Straßen noch viel weniger wert. Oh, er hörte von Meistern der Kunde und Zauberern und so weiter. Zigeunerinnen prahlten damit, andere mit Flüchen belegen zu können. Iren kannten einen Priester, der Wunder wirken konnte. Franzosen und Spanier hatten von Hexen und Kindheiligen oder was auch immer gehört. Ein Portugiese erzählte von einer freien Schwarzen, die den Schritt eines Feindes so glatt und leer wie eine Achselhöhle machen konnte – wodurch sie, der Geschichte zufolge, ihre Freiheit gewonnen hatte, nachdem sie dies dem erstgeborenen Sohn ihres Besitzers angetan und gedroht hatte, es danach ihrem Herrn selbst anzutun. Aber keiner von ihnen ließ sich blicken. Er fand heraus, wer den Meister der Kunde kannte, ging dann zu dieser Person und stellte fest, daß sie nur jemanden kannte, der den Mächtigen kannte, und so weiter und so fort, wie Constables, die des Nachts nach einem Flüchtigen suchen, der immer wieder in dunkle Gassen davonschlüpft.
    Doch derweil lernte Calvin, in einer Stadt zu leben, und es gefiel ihm. Ihm gefiel, daß man einfach so verschwinden konnte. Niemand kannte einen. Niemand erwartete etwas von einem. Man war, was man trug. Bei seiner Ankunft war er wie ein Bauer vom Lande gekleidet, und so erwarteten die Leute, daß er dumm und ungeschickt war, und verdammt noch mal, das war er auch. Aber nach ein paar Tagen hatte er begriffen, daß seine Kleidung ihn verriet, und er kaufte sich in einem Gebrauchtwarenladen Stadtkleider. Danach waren die Leute bereit, mit ihm zu sprechen. Und er lernte, auch seine Sprache etwas zu verändern. Er sprach schneller und nicht mehr so gedehnt. Schüttelte das Näseln ab, das auf dem Land gepflegt wurde. Er wußte, er verriet sich mit jedem Wort, das über seine Lippen kam, aber er wurde besser. Die Leute baten ihn nicht mehr so oft, etwas zu wiederholen. Und am Ende der Woche war er hier genauso wenig fehl am Platz wie die anderen Einwanderer. Besser wurde es allerdings nicht mehr – er hörte sich keineswegs so an, als stamme er aus New Amsterdam. Abgesehen vielleicht von einigen holländischen Großgrundbesitzern, die sich in ihren Herrensitzen in den exklusiven Wohnvierteln der Insel versteckten.
    In dieser Stadt gab es Gerüchte von Weisheit, aber keine Weisheit selbst. Nun ja, was hatte er erwartet? Jemand, der tatsächlich die Mächte der Alten Welt kannte, würde wohl kaum auf ein elendes Boot steigen und unter Einsatz von Leib und Leben nach Westen segeln müssen, um in einem Elendsviertel von New Amsterdam in einem Rattenloch zu hausen. Nein, die Menschen Europas, die etwas von der Macht verstanden, waren noch in Europa – weil sie die maßgeblichen Leute dort waren und keinen Grund hatten, ihre Heimat zu verlassen.
    Und wer war der Mächtigste von allen? Nun ja, der Mann, dessen Siege all diese Leute der über ein Dutzend Sprachen veranlaßt hatten, an die amerikanischen Ufer zu strömen. Der Mann, der die Aristokraten aus Frankreich vertrieben und dann Spanien und das Heilige Römische Reich und Italien und Österreich erobert hatte und dann aus irgendeinem Grund an der russischen Grenze und

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