Der Reisende

Mizzipy.
    Arise Cooper war ein ehrlicher, schwer arbeitender Christ. Er lebte sein Leben so nah an der Keuschheit, wie es ihm angesichts der endlichen Grenzen des menschlichen Geistes möglich war. Jedem Gebot, von dem er erfuhr, gehorchte er; jede Unvollkommenheit, die er sich vorstellen konnte, entfernte er aus seiner Seele. Er führte jeden Tag genau Buch und zeichnete die Werke des Herrn in seinem Leben nach.
    Zum Beispiel schrieb er an dem Tag, an dem sein zweiter Sohn geboren wurde: »Heute machte Satan mich wütend auf einen Mann, der darauf bestand, die drei Fässer nachzumessen, die ich für ihn gemacht hatte, davon überzeugt, ich hätte ihm zuviel berechnet. Aber der Geist Gottes entfachte Vergebung in meinem Herzen, denn mir wurde klar, daß jemand mißtrauisch werden kann, wenn er so oft von teuflischen Menschen betrogen worden ist. Daher sah ich ein, daß der Herr mir anvertraut hatte, diesen Mann zu lehren, daß nicht alle Menschen ihn betrügen werden, und ertrug seine Beleidigung mit Geduld. Und nachdem ich Verwerflichkeit mit Freundlichkeit vergolten hatte, verließ der Mann meine Böttcherei als Freund statt als Feind, wie Jesus es gelehrt hat, und mit einem klügeren Auge für die Werke des Herrn unter den Menschen. O wie groß bist du, mein geliebter Gott, mein sündiges Herz in ein Werkzeug zu verwandeln, das deinen Absichten in dieser Welt dient! Bei Anbruch der Nacht kam mein zweiter Sohn auf die Welt, den ich Verily nenne, Wahrlich: Wahrlich, sage ich euch, ihr werdet nur ins Königreich des Himmels kommen, wenn ihr wieder zu Kindern im Geiste werdet.«
    Sollte jemand den Namen für etwas übertrieben halten, so sagte er doch nichts zu Arise – Erhebt euch – Cooper, dessen Name ebenfalls ein Bibeltext war: Erhebt euch und tretet vor. Das galt auch für die Mutter des Kindes, deren Namen der kürzeste Vers der Heiligen Schrift war: He Wept, er weinte. Sie alle wußten, das Kind würde fast nie bei seinem vollen Name genannt werden. Statt dessen wurde der Junge als Verily bekannt, und als er heranwuchs, wurde der Name oft zu Very abgekürzt.
    Aber nicht der Name war Verily Coopers schwerste Bürde. Nein, es gab etwas viel Dunkleres, das schon sehr früh in seinem Leben seinen Schatten auf den Jungen warf.
    Eines Tages, als Verily erst zwei Jahre alt war, kam Arises Frau Wept zu ihm. Sie war ganz aufgeregt. »Arise, ich habe heute gesehen, wie der Junge mit Holzresten spielt und einen Turm aus ihnen baut.«
    Arise dachte über all das Böse nach, das man mit den Holzresten einer Böttcherei bewerkstelligen konnte, und ihm fiel nur eine Möglichkeit ein: »War es eine Nachbildung des Turms von Babel?«
    Wept schaute verwirrt drein. »Könnte sein, vielleicht aber auch nicht. Woher soll ich das denn wissen, da der Junge noch kein Wort spricht?«
    »Was dann?« fragte Arise, nun ungeduldig, weil sie nicht direkt zur Sache gekommen war. Nein, nein, er war ungeduldig, weil er falsch geraten hatte und sich deshalb nun schämte. Es war eine Sünde, ihr die Schuld für Verstimmungen geben zu wollen, die er selbst verursacht hatte. Noch während sie fortfuhr, betete er in seinem Herzen um Vergebung.
    »Arise, er hat mit den Holzresten einen hohen Turm gebaut, aber sie sind immer und immer wieder zusammengefallen. Ich habe ihn gesehen und gedacht: Der Herr des Himmels lehrt unseren Kleinen, daß die Werke des Menschen alle vergeblich sind und nur die Werke Gottes überdauern können. Aber dann legt sich dieser Ausdruck grimmiger Entschlossenheit auf sein Gesicht, und nun betrachtet er jeden Holzrest, während er damit baut, und legt ihn ganz sorgfältig an Ort und Stelle. Er baut und baut und baut, bis der letzte Holzrest höher als sein Kopf zu liegen kommt, und der Turm steht noch immer.«
    Arise wußte nicht genau, was sie damit meinte, oder warum es sie beunruhigte.
    »Komm, Mann, und sieh das Werk der Hand unseres Babys.«
    Arise folgte ihr in die Küche. Niemand sonst war dort, obwohl dies die geschäftigste Kochzeit des Tages war. Arise wurde klar, warum alle geflohen waren. Denn der Stapel der Holzreste war höher, als die Vernunft oder das Gleichgewicht es hätten zulassen dürfen. Die Holzblöcke lagen kreuz und quer durcheinander und waren perfekt ausbalanciert, ganz gleich, in wie seltsamer oder unsicherer Lage sie sich zu denen darüber oder darunter befanden.
    »Stürze ihn sofort um«, sagte Arise.
    »Glaubst du etwa, das wäre mir nicht in den Sinn gekommen?« fragte Wept. Sie streckte