Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Reisende

Der Reisende

Titel: Der Reisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
Vom Netzwerk:
den Arm aus und warf den Turm zu Boden. Er kippte um, aber mit einer einzigen Bewegung, und noch auf dem Boden blieben die Holzklötze aneinander hängen, als hätte man sie festgeklebt.
    »Er muß mit dem Leim gespielt haben«, sagte Arise, doch noch während er es sagte, wußte er, daß es nicht wahr war.
    Er kniete neben dem auf der Seite liegenden Turm nieder und versuchte, einen Klotz von dessen Ende zu entfernen. Er konnte ihn nicht abbrechen. Er hob den ganzen Turm auf und wollte ihn über dem Knie zerbrechen. Er zog sich eine Prellung zu, doch der Turm brach nicht. Schließlich gelang es ihm, ihn zu zerbrechen, indem er sich auf die Mitte stellte und ein Ende mit aller Stärke hochzog, aber dafür war genauso viel Kraft erforderlich, als würde er ein dickes Brett durchbrechen. Und als er die Bruchstellen untersuchte, stellte er fest, daß der Turm mitten in einem Holzklotz durchgebrochen war und nicht an der Nahtstelle zwischen ihnen.
    Er sah seine Frau an und wußte, was er zu ihr sagen sollte. Er sollte ihr sagen, daß ihr Sohn offensichtlich vom Teufel besessen gewesen war, und zwar in solch einem Ausmaß, daß der Junge nun mit außergewöhnlichen Hexenkräften versehen war. War dies erst einmal ausgesprochen, blieb einem keine andere Möglichkeit mehr, als den Jungen zum Magistrat zu bringen, der die Hexenprüfung vornehmen würde. Da der Junge zu klein war und noch nicht sprechen, also weder gestehen noch widerrufen konnte, würde das Urteil des Gerichts auf Tod durch Verbrennen lauten, wenn er während des Prozesses nicht ertrank.
    Arise hatte niemals die Rechtmäßigkeit der Gesetze in Frage gestellt, die England rein von der Hexerei und der anderen dunklen Werke Satans gehalten hatten. Man schickte jetzt keine Hexen und Hexenmeister mehr ins Exil nach Amerika – diese alte Politik hatte nur dazu geführt, daß eine gesamte Nation vom Teufel besessen gewesen war. Die heilige Schrift war eindeutig, und es gab keinen Spielraum für Gnade: Du sollst nicht dulden, daß eine Hexe lebt.
    Und doch sagte Arise die Worte zu seiner Frau nicht, die sie zwingen würden, ihr Baby dem Magistrat zur Züchtigung zu überstellen. Zum erstenmal in seinem Leben hatte Arise Cooper die Wahrheit erkannt, ohne dementsprechend zu handeln.
    »Ich sage, wir verbrennen dieses seltsam geformte Brett«, sagte Arise. »Und verbieten dem Kind, mit Holzklötzen zu spielen. Wir beobachten ihn genau und lehren ihn, jeden Augenblick in genauem Gehorsam der Gesetze Gottes zu verbringen. Bis er das gelernt hat, darf keine andere Frau auf ihn achtgeben, wenn du nicht anwesend bist.«
    Er sah seiner Frau in die Augen, und Wept erwiderte den Blick. Zuerst waren ihre Augen groß vor Überraschung über seine Worte; dann wich die Überraschung der Erleichterung, und dann der Entschlossenheit. »Ich werde so genau auf ihn achtgeben«, sagte sie, »daß Satan keine Gelegenheit bekommt, ihm ins Ohr zu flüstern.«
    »Wir können es uns leisten, von jetzt an die Arbeit der Dienstmädchen von einer Köchin überwachen zu lassen«, sagte Arise. »Die Erziehung dieses überaus schwierigen Sohns liegt in unseren Händen. Wir werden ihn vor dem Teufel retten. Nichts ist wichtiger als das.«
    So kam es, daß Verily Coopers Erziehung schwierig und interessant wurde. Er wurde zu seinem eigenen Wohl öfter als jedes andere Kind in der Familie geschlagen, denn Arise wußte sehr wohl, daß Satan schon ganz früh in dessen Leben einen Weg in das Herz des Kindes gefunden hatte. Daher mußten alle Anzeichen von Rebellion, Respektlosigkeit und Sünde energisch ausgetrieben werden.
    Falls der kleine Verily diese besondere Disziplin übelnahm, die er im Vergleich zu seinem älteren Bruder und seinen jüngeren Schwestern ertragen mußte, ließ er nichts darüber verlauten – vielleicht, weil Beschwerden stets zu schnellen Schlägen mit einer Birkenrute führten. Er lernte, mit solchen Bestrafungen zu leben, war sogar in gewisser Hinsicht stolz darauf, denn die anderen Kinder brachten ihm Ehrfurcht entgegen, wenn sie sahen, wieviel Prügel er einsteckte, ohne auch nur zu weinen – und das für Vergehen, die ihnen von ihren Eltern nicht mehr als einen scharfen Blick eingebracht hätten.
    Verily lernte schnell. Die Birkenrute brachte ihm bei, welche seiner Taten lediglich der normale Unfug eines heranwachsenden Jungen waren und welche als Zeichen dafür angesehen wurden, daß Satan mächtig um seine Seele kämpfte. Wenn zum Beispiel die Kinder aus dem Viertel

Weitere Kostenlose Bücher