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Der Reisende

Der Reisende

Titel: Der Reisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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eine Schneeburg bauten, und er baute genauso schludrig und achtlos wie sie, wurde er nicht bestraft. Doch wenn er besonders darauf achtete, daß die Blöcke glatt und nahtlos aufeinander saßen, wurde ihm der Hintern versohlt, daß er blutete. Und er lernte auch schnell, daß es in Ordnung war, wenn er seinem Vater in der Werkstatt half und die Dauben eines Fasses locker zusammenfügte, wie die anderen Männer es auch taten, so daß sie kaum innerhalb des Faßreifens zusammengehalten wurden, und er sich völlig darauf verließ, daß die Flüssigkeit im Faß das Holz irgendwann anschwellen lassen und die Fugen dann wahrlich luftdicht machen würde. Doch wenn er das Holz besonders sorgfältig aussuchte und sich darauf konzentrierte, es genau anzupassen, damit es perfekt saß und das Faß die Luft so dicht wie eine Schweineblase hielt – dann verprügelte sein Vater ihn mit dem Schlichtwerkzeug und jagte ihn aus der Werkstatt.
    Als Verily zehn Jahre alt war, betrat er die Werkstatt seines Vaters nicht mehr öffentlich, und er hatte den Eindruck, sein Vater hatte gar nichts dagegen, daß er sich fernhielt. Doch es verdroß ihn, die Arbeit zu sehen, die die Werkstatt ohne seine Hilfe lieferte, denn Verily spürte, wie grob und locker die Dauben der kleinen und großen und schlanken und dicken Fässer saßen. Das machte ihm zu schaffen. Es kribbelte zwischen seinen Schulterblättern, wenn er nur daran dachte, bis er es kaum noch ertragen konnte. Schließlich stand er mitten in der Nacht auf, ging in die Werkstatt und besserte die schlechtesten Fässer aus. Niemand ahnte, was er getan hatte, denn er ließ keine Späne zurück. Er entfernte lediglich den Faßreifen, paßte die Dauben neu an und zog die Dauben wieder auf, straffer als zuvor.
    Die Folge war erstens, daß Arise Cooper bald im Ruf stand, die besten Fässer in Mittelengland zu machen; und zweitens, daß Verily tagsüber oft schläfrig war und träge wirkte, was zu weiterer Prügel führte, die allerdings keineswegs so schlimm wie die waren, die er verabreicht bekam, wenn er sich wirklich darauf konzentrierte, Dinge zusammenzufügen; und drittens, daß Verily lernte, mit ständiger Täuschung zu leben, vor allen Menschen in seiner Umgebung zu verbergen, was er war und sah und tat. Da war es nur natürlich, daß er sich vom Studium des Rechts angezogen fühlte.
    So träge, wie Verily manchmal wirkte, zeigte er bei seinen Studien jedoch einen scharfen Verstand – sowohl Arise und Wept bekamen dies mit, und statt sich mit dem örtlichen, mit dem Steueraufkommen bezahlten Lehrer zu begnügen, schickten sie ihn auf eine Akademie, die normalerweise nur für die Söhne von Gutsherren und reichen Männern bestimmt war. Den Hohn und Spott, mit dem Verily wegen seines groben Akzents und seiner bescheidenen Kleidung von den anderen Jungen bedacht wurde, nahm er kaum wahr – und die Abreibungen, die die Jungs ihm verpaßten, waren nichts im Vergleich zu der Prügel, an die er gewöhnt war, und aller Mißbrauch, der keinen körperlichen Schmerz verursachte, drang nicht mal zu Verilys Bewußtsein vor. Ihm war nur wichtig, daß er an der Schule nicht die ganze Zeit über voller Angst leben mußte und die Lehrer es mochten, wenn er fleißig lernte und sah, wie Ideen zusammenpaßten. Was er mit seinen Händen nur insgeheim tun konnte, war ihm mit seinem Verstand in aller Öffentlichkeit möglich.
    Und es waren nicht nur Ideen. Allmählich lernte er, daß er, wenn er sich auf die Jungs in seiner Umgebung konzentrierte, ihnen richtig zuhörte, darauf achtete, wie sie sich benahmen, er sie dann so deutlich sehen konnte, wie er Holzreste sah, genau wußte, wann und wie jeder einzelne Junge mit jedem anderen zusammenpaßte. Nur ein Wort hier und da, nur eine Idee, die man zur richtigen Zeit dem richtigen Geist vorwarf, und er verwandelte die Jungen seines Schlafsaals in ein geschlossenes Band liebevoller Freunde. Soweit sie es zuließen, heißt das. Einige waren mit tiefem Zorn erfüllt, der bewirkte, daß sie um so verdrossener und argwöhnischer wurden, je besser sie hineinpaßten. Daran konnte Verily nichts ändern. Er konnte keine Veränderungen im Herzen eines Jungen herbeiführen – er konnte ihm nur herauszufinden helfen, wo er aufgrund seiner natürlichen Neigungen am besten mit den anderen zusammenpaßte.
    Doch niemand sah es – niemand sah, daß es Verily war, der diese Jungen zu der engsten Freundesgruppe zusammenschmiedete, die diese Schule je gesehen hatte. Die Lehrer

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