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Der Reisende

Der Reisende

Titel: Der Reisende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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»verspotten«, sein voller Name lautete: He Will Not Be Mocked Cooper, Er-Der-Sich-Nicht-Verspotten-Läßt-Cooper) war ein geschickter Böttcher und sowohl inner- als auch außerhalb der Familie beliebt. Er würde alles erben. Verily würde nach London gehen, und Arise und Wept würden nicht mehr für ihn verantwortlich sein. Verily gab ihnen sogar eine Verzichterklärung auf den Familienbesitz, obwohl sie nicht darum gebeten hatten. Als Arise das Dokument entgegennahm, nahm der einundzwanzigjährige Verily die Birkenrute von dem Haken an der Wand, zerbrach sie über seinem Knie und warf sie ins Küchenfeuer. Damit war die Angelegenheit beendet. Alle hatten verstanden: Was Verily jetzt mit seinen Kräften anfing, war seine eigene Sache.
    Man wurde sehr schnell auf Verilys Talente aufmerksam. Mehrere Anwaltskanzleien boten ihm Anstellungen an, und er entschied sich schließlich für die, die ihm bei der Auswahl seiner Klienten die größte Unabhängigkeit ließ. Als er einen Fall nach dem anderen gewann, schoß seine Reputation in die Höhe; aber die Anwälte, die wirklich etwas von diesen Dingen verstanden, beeindruckte weniger die Zahl der gewonnenen Prozesse als die noch größere jener Fälle, die außergerichtlich beigelegt worden waren – und zwar gerecht. Als Verily fünfundzwanzig war, wurde es zum Brauch, daß sich mehrmals im Monat beide Parteien in heiß umstrittenen Prozessen an Verily wandten und ihn baten, ihr Arbiter zu sein, womit die Gerichte völlig umgangen wurden: so groß war sein Ruf als weiser und gerechter Mann. Einige flüsterten, daß er zu gegebener Zeit eine große Macht in der Politik werden würde. Einige wagten dem Wunsch Ausdruck zu verleihen, solch ein Mann möge eines Tages Lordprotektor sein, falls dieses Amt jemals durch eine Wahl vergeben werden sollte, wie das des Präsidenten der Vereinigten Staaten.
    Die Vereinigten Staaten von Amerika – diese vielfältige, vielsprachige, vielgestaltige und vielseitige Republik, die irgendwie, könig- und grundlos, zufällig zwischen den Kronkolonien und New England entstanden war. Amerika, wo Männer, die lange Hosen aus Leder trugen, angeblich gemeinsam mit Roten, Holländern, Schweden und anderen halbzivilisierten Exemplaren, die aus dem englischen Parlament geworfen worden wären, bevor sie nur den Mund hätten aufmachen können, den Kongreß bildeten. Verily Cooper richtete sein Augenmerk immer mehr auf dieses Land; immer mehr sehnte er sich danach, an einem Ort zu leben, an dem er sein Talent, Dinge zusammenzufügen, so oft wie möglich einsetzen konnte. Wo er Dinge mit den Händen zusammenfügen konnte, nicht nur mit dem Verstand oder mit seinen Worten. Wo er, kurz gesagt, ohne Täuschung leben konnte.
    Vielleicht konnte er in solch einem Land, in dem die Männer nicht lügen mußten, wer sie waren, um das Recht auf Leben zu bekommen, vielleicht konnte er in solch einem Land den Weg zu irgendeiner Wahrheit finden, zu irgendeinem Verständnis darüber, wozu das Universum geschaffen worden war. Und sollte ihm dies nicht gelingen, würde er dort wenigstens frei sein.
    Das Problem war, Verily hatte englisches Recht studiert, und englische Klienten waren drauf und dran, ihn zum reichen Mann zu machen. Was, wenn er heiratete? Was, wenn er Kinder bekam? Was für ein Leben konnte er ihnen in den Urwäldern Amerikas bieten? Wie konnte er eine Frau bitten, die Zivilisation zu verlassen und nach Philadelphia zu gehen?
    Und er wollte heiraten. Er wollte Kinder großziehen. Er wollte beweisen, daß Güte nicht in Kinder hineingeprügelt werden mußte, daß Furcht nicht der Born war, aus dem Tugend floß. Er wollte seine Familie in den Arm nehmen können und wissen, daß keiner von ihnen seinen Anblick fürchtete oder glaubte, ihn belügen zu müssen, um seine Liebe zu bekommen.
    Also träumte er von Amerika, blieb aber in London und suchte in den vornehmsten Kreisen der Gesellschaft nach der richtigen Frau, mit der er eine Familie gründen konnte. Seine bescheidenen Manieren waren mittlerweile durch die Universitätsbildung und schließlich durch eine Vornehmheit ersetzt worden, die ihm die Türen der besten Häuser öffnete. Sein Witz war nie beißend, aber stets tief, und machte ihn zu einem beliebten Gast in den großen Salons von London, und wenn er nie zu denselben Diners oder Partys wie die führenden Theologen des Tages eingeladen wurde, dann nicht, weil man ihn für einen Atheisten hielt, sondern weil es vermeintlich keine Theologen gab,

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