Der Reisende
die ihm im Gespräch gewachsen waren. Man mußte Verily Cooper mit mindestens einem zusammenbringen, der sich gegen ihn behaupten konnte – alle wußten, daß Very viel zu gutherzig war, um Narren der öffentlichen Unterhaltung willen zu vernichten. Wenn er von Dummköpfen umgeben war, verstummte er einfach, und es war eine Schande für einen Gastgeber, wenn sich herumsprach, daß Verily Cooper den ganzen Abend lang geschwiegen hatte.
Verily Cooper war sechsundzwanzig Jahre alt, als er auf einer Party einem bemerkenswerten jungen Amerikaner namens Calvin Miller begegnete.
Er fiel Verily sofort auf, denn er paßte nicht hinein, aber nicht, weil er Amerikaner war. Verily begriff vielmehr sofort, daß Calvin hervorragende Arbeit dabei geleistet hatte, den Anschein von Manieren zu erwerben, die ihn von den ausgemachtesten Fauxpas abhielten, die die meisten Amerikaner an den Tag legten, die versuchten, sich in London zu behaupten. Der Junge sprach von seinen Bemühungen, Französisch zu lernen, scherzte immer wieder, wie ungeheuerlich untalentiert er bei Sprachen war; doch Verily sah (wie viele andere auch), daß das alles nur Verstellung war. Wenn Calvin Französisch sprach, kam jede Formulierung mit hervorragender Betonung, und sein Wortschatz mochte zwar Lücken aufweisen, aber seine Grammatik war einwandfrei.
Eine Lady, die neben Verily stand, murmelte ihm zu: »Wenn er in Sprachen schlecht ist, schaudert es mich bei der Vorstellung, worin er gut ist.«
Lügen, darin ist er gut, dachte Verily. Aber er hielt den Mund, denn woher sollte er wissen, daß jedes einzelne Wort, das über Calvins Lippen kam, falsch war? Schließlich erkannte er als einziger, daß nichts zusammenpaßte, wenn Calvin sprach. Der Junge faszinierte ihn lediglich, weil er zu lügen schien, obwohl in der Lüge nicht der geringste Vorteil für ihn lag; er log aus reiner Freude daran.
Erzeugte Amerika so etwas? Das Land, das in Verilys Vorstellung ein Ort der Wahrheit war, und so etwas wurde dort vorgebracht? Vielleicht lagen die Geistlichen doch nicht völlig falsch, was jene Menschen mit verborgenen Kräften betraf – oder »Talenten«, wie die Amerikaner sie so drollig nannten.
»Mr. Miller«, sagte Verily. »Da Sie Amerikaner sind, frage ich mich, ob Sie irgendwelche persönlichen Kenntnisse von Talenten haben.«
Der Raum verstummte. Von solchen Dingen zu sprechen – das war nur ein wenig unhöflicher, als von persönlicher Hygiene zu sprechen. Und wenn der aufstrebende junge Anwalt Verily Cooper diese Frage stellte …
»Wie bitte?« fragte Calvin.
»Talente«, sagte Verily. »Verborgene Kräfte. Ich weiß, daß sie in Amerika legal sind, und doch behaupten die Amerikaner, Christen zu sein. Daher bin ich neugierig, wie solche Dinge erklärt werden, wenn sie hier als Beweis dafür gelten, von Satan versklavt worden zu sein, und damit ein Todesurteil darstellen.«
»Ich bin kein Philosoph, Sir«, sagte Calvin.
Verily wußte es besser. Er bemerkte, daß Calvin plötzlich stärker denn je auf der Hut war. Verilys Vermutung traf zu. Dieser Calvin Miller log, weil er viel zu verbergen hatte. »Um so besser«, sagte Verily. »Dann besteht die Chance, daß Eure Antwort für jemanden, der in solchen Angelegenheiten so unwissend wie ich ist, Sinn ergeben wird.«
»Ich wünschte, Ihr würdet mich von anderen Dingen sprechen lassen«, sagte Calvin. »Ich befürchte, wir beleidigen diese Gesellschaft.«
»Ihr bildet Euch doch sicher nicht ein, Ihr wäret aus einem anderen Grund als dem eingeladen worden, daß Ihr Amerikaner seid«, sagte Verily. »Warum widerstrebt es Euch also, über die offensichtlichste Seltsamkeit des amerikanischen Volks zu sprechen?«
In dem Raum erklang ein leises Summen. Wer hatte je erlebt, daß Verily so offen unhöflich war?
Verily wußte jedoch, was er tat. Er hatte nicht eintausend Zeugen befragt, ohne dabei zu lernen, wie man auch dem schamlosesten gewohnheitsmäßigen Lügner die Wahrheit entlockte. Calvin Miller war ein Mann, der scharfe Scham empfand. Deshalb log er – um sich vor allem zu verstecken, das ihn beschämte. Doch wenn man ihn provozierte, würde er hitzig antworten, und die Lügen und Berechnung würden dann und wann einigen ehrlichen Brocken weichen. Kurz gesagt, Verily versuchte, Calvin Miller in Rage zu bringen.
»Seltsamkeit?« fragte Calvin. »Vielleicht ist es nicht seltsam, keine Talente zu haben, sondern vielmehr abzustreiten, daß es sie gibt, oder sie Satan zuzuschreiben.«
Nun
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