Der Reisende
Böttcher, und ich habe als Junge dieses Handwerk gelernt. Aber Ihr habt recht, ich habe eine Bildung bekommen und bin jetzt Barrister.«
Der Müller schaute verwirrt drein. »Vom Böttcher zum Barrister«, sagte er. »Ich muß sagen, ich kenne den Unterschied nicht.«
Der Mann, der ihn an der Tür begrüßt hatte, half aus. »Ein Barrister ist ein englischer Anwalt.«
Der trockene Tonfall seiner Stimme und die Art und Weise, wie alle anderen erstarrten, verriet Verily, daß man hier etwas gegen Anwälte hatte. »Bitte, ich versichere Euch, ich habe diesen Beruf hinter mir gelassen, als ich England verließ. Ich bezweifle, daß ich hier in den Vereinigten Staaten Jura praktizieren dürfte, zumindest nicht ohne irgendeine Prüfung. Aber deshalb bin ich sowieso nicht hierher gekommen.«
Die Frau des Müllers – Verily vermutete aufgrund ihres Alters, daß sie es war, denn sie saß nicht neben dem Mann – ergriff das Wort, und zwar mit beträchtlich weniger Feindseligkeit in der Stimme, als es bei ihrem Gatten der Fall gewesen war. »Ein Mann kommt eigens aus England in eine Stadt in Amerika, die Tag für Tag in Schande lebt. Ob nun Anwalt oder nicht, ich gestehe ein, ich bin neugierig. Was hat Euch hierher geführt?«
»Nun, ich habe einen Eurer Söhne kennengelernt, glaube ich. Und was er mir erzählt hat …«
Es war fast komisch, wie sie sich alle plötzlich vorbeugten. »Ihr habt Calvin gesehen?«
»Genau den«, sagte Verily. »Ein interessanter junger Mann.«
Sie enthielten sich eines Kommentars.
Nun, wenn Verily als Anwalt etwas gelernt hatte, dann, daß er nicht jedes Schweigen mit eigenen Worten ausfüllen mußte. Er wußte nicht genau, welche Einstellung diese Familie zu Calvin hatte – schließlich war Calvin ja ein so erfahrener Lügner, daß er diese Kunst schon zu Hause eingeübt haben mußte, bevor er versucht hatte, sich mit ihrer Hilfe in der großen weiten Welt zu behaupten. Also haßte man ihn vielleicht. Oder man liebte und sehnte sich nach ihm. Verily wollte keinen Fehler machen.
Wie er es erwartet hatte, ergriff schließlich wieder Calvins Mutter das Wort. »Ihr habt meinen Jungen gesehen? Wo war er? Wie ging es ihm?«
»Ich habe ihn in London getroffen. Er hat die Sprache und das Benehmen eines ziemlich klugen jungen Mannes. Er schien auch bei guter Gesundheit zu sein.«
Sie nickten, und Verily sah, daß sie erleichtert zu sein schienen. Also liebten sie ihn und hatten um ihn gebangt.
Ein großer, schlaksiger Mann in Verilys Alter streckte die langen Beine aus und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Ich bin mir ziemlich sicher, daß Ihr diesen weiten Weg nicht nur zurückgelegt habt, um uns zu sagen, daß es Calvin gut geht, Mr. Cooper.«
»Nein, in der Tat nicht. Sondern wegen einer Bemerkung Calvins.« Verily betrachtete sie wieder, diese große Familie, die einen Fremden gleichzeitig willkommen hieß und ihm mit Argwohn begegnete, die wegen eines verlorenen Sohns gleichzeitig besorgt und mißtrauisch war. »Er hat von einem seiner Brüder gesprochen.« Dabei schaute Verily den Schlaksigen an, der gerade gesprochen hatte. »Ein Sohn mit Talenten, die die Calvins bei weitem übertreffen.«
Der Schlaksige lachte johlend auf, und mehrere andere kicherten. »Erzählt uns keine Märchen!« sagte er. »So würde Calvin niemals von Alvin sprechen!«
Also war der Schlaksige doch nicht Alvin Junior. »Nun ja, sagen wir einfach, daß ich sozusagen zwischen den Zeilen lesen kann. Ihr wißt, daß in England der Einsatz verborgener Mächte und geheimnisvoller Künste streng bestraft wird. Also sind wir Engländer diesbezüglich ziemlich unwissend geblieben. Ich schließe jedoch, falls es eine Person auf der Welt gibt, die mich lehren kann, solche Dinge besser zu verstehen, dann Calvins Bruder Alvin.«
Dem pflichteten sie nickend bei; einige lächelten sogar.
Aber der Vater blieb argwöhnisch. »Und warum wünscht sich ein englischer Anwalt, mehr über solche Dinge zu lernen?«
Zu seiner Überraschung fand Verily keine Worte. Er hatte lediglich den Wunsch gehabt, Alvin, des Müllers Sohn, zu finden – aber natürlich würden sie wissen wollen, warum ihm so viel an verborgenen Kräften lag. Was konnte er sagen? Sein ganzes Leben lang war er gezwungen gewesen, seine Gabe zu verbergen, seinen Fluch. Nun stellte er fest, daß er nicht einfach damit herausplatzen, ja noch nicht mal eine Andeutung fallen lassen konnte.
Statt dessen ging er zu der Theke und nahm ein paar große hölzerne
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