Der Reisende
Trinkerin Freda ein bißchen weniger trank und etwas besser schlief - wer außer ihr selbst bemerkte das schon?
Verily Cooper kam auf die harte Art und Weise nach Vigor Church, aber das war bei keinem anders. Bei dem Ruf der Stadt, Reisende zu zwingen, sich eine traurige, düstere Geschichte anzuhören, verwunderte es nicht, daß keine Postkutschenlinie direkt an ihr vorbeiführte. Die Eisenbahn war noch nicht so weit nach Westen verlegt worden, doch auch im anderen Fall hätte es wohl kaum einen Bahnhof Vigor oder auch nur ein Nebengleis gegeben. Die Stadt, die Armor-of-God Weaver einst als Tor zum Westen gesehen hatte, war nun endgültig Provinz.
Also hieß es, mit der Eisenbahn – man wurde durchgeschüttelt, und sie stank, kam jedoch schnell und billig voran – nach Dekane zu fahren und von dort aus die Postkutsche zu nehmen. Durch reinen Zufall führte Verilys Weg ihn mitten durch die Stadt Hatrack River, in der der Mann, den kennenzulernen er nach Amerika gekommen war, Calvins Bruder Alvin, im Gefängnis saß. Aber er hatte die Schnellkutsche genommen, und sie hielt nicht zu einer gemütlichen Mahlzeit in Horace Guesters Gasthof in Hatrack an, in dem Verily zweifellos Unterhaltungen aufgeschnappt hätte, die zu einer sofortigen Beendigung seiner Reise geführt hätten. Statt dessen fuhr er weiter nach Carthage City, stieg auf eine langsamere Kutsche um, die nach Nordwesten fuhr, nach Wobbish hinein, stieg in einer verschlafenen kleinen Fährstadt aus, kaufte dort ein Pferd und einen Sattel und ein Maultier für sein Gepäck; er hatte zwar nicht viel davon, aber doch mehr, als er auf das Pferd laden wollte, auf dem er ritt. Von da an ritt er ganz einfach den ganzen Tag nach Norden, übernachtete auf einer Farm und ritt dann noch einen Tag, bis er am Spätnachmittag, gerade, als die Sonne unterging, Armors Gemischtwarenhandlung erreichte, in der Lampen brannten und Verily für die Nacht Unterkunft zu finden hoffte.
»Es tut mir leid«, sagte der Mann an der Tür. »Wir geben kein Logis – dafür ist in dieser Stadt zu wenig Bedarf. Die Familie Miller, ein Stück weiter die Straße hinauf, nimmt Untermieter auf, aber … nun ja, mein Freund, Ihr könnt genauso gut hereinkommen. Denn der Großteil der Familie Miller befindet sich im Augenblick hier in meinem Laden, und außerdem müßt Ihr Euch erst eine Geschichte anhören, bevor die Millers oder Ihr heute abend zu Bett gehen könnt.«
»Man hat mir davon erzählt«, sagte Verily Cooper, »und ich habe keine Angst, sie zu hören.«
»Dann seid Ihr absichtlich hierher gekommen?«
»Bei diesen Schildern auf der Straße, die Reisende warnen und verscheuchen sollen?« Verily trat über die Schwelle. »Ich muß mich um ein Pferd und ein Maultier kümmern …«
Seine Worte wurden von den Leuten vernommen, die auf Schemeln und Tischen saßen und sich auf die Ladentheke lehnten. »Ich kümmere mich um das Pferd«, sagte einer.
»Dann bleibt mir das Maultier – und zweifellos sein Gepäck.«
»Und ich muß dazu noch den Sattel übernehmen«, sagte der erste. »Das gleicht sich wieder aus.«
Verily Cooper streckte auf die offene amerikanische Art und Weise, an die er sich bereits gewöhnt hatte, die Hand aus. »Ich bin Verily Cooper«, sagte er.
»Wastenot Miller«, sagte einer der Jungs.
»Und ich bin Wantnot«, sagte der andere.
»Puritaner, den Namen nach zu urteilen«, sagte Verily.
»Darauf würde ich nicht wetten«, sagte ein dicker Mann mittleren Alters, der in der Ecke auf einem Stuhl saß. »Es ist kein Monopol religiöser Fanatiker aus New England, Babys nach Tugenden zu benennen.«
Zum erstenmal spürte Verily, daß Argwohn in der Luft lag, und ihm wurde klar, daß sie sich fragen mußten, wer er war und was er hier zu suchen hatte. »In dieser Stadt gibt es nur einen Müller, nicht wahr?« fragte er.
»Nur mich«, sagte der untersetzte Mann.
»Dann müßt Ihr Alvin Miller Senior sein«, sagte Verily, ging zu ihm und reichte ihm die Hand.
Der Müller schüttelte sie vorsichtig. »Ihr habt mich in die Klemme gebracht, junger Mann, denn von Euch weiß ich nur, daß Ihr spät am Tag hierher gekommen seid, niemand gewußt hat, daß Ihr kommt, und Ihr wie ein hochtrabender Engländer mit einer Menge Bildung redet. Wir hatten mal einen Priester hier, der wie Ihr gesprochen hat. Aber der ist nicht mehr da.« Dem Tonfall entnahm Verily, daß die Trennung nicht gerade angenehm gewesen war.
»Ich heiße Verily Cooper«, sagte er. »Mein Vater ist
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