Der Reiz des Verbotenen - Page, S: Reiz des Verbotenen
hinüber zu ihrer beider Mutter, die steif und unbewegt auf ihrem Stuhl vor dem Feuer saß. „Ich möchte, dass Mutter ihn hält.“
Er schüttelte den Kopf. „Das ist keine gute Idee.“
Mit leerem Blick starrte ihre Mutter in die Flammen, als wäre sie sich der Gegenwart ihrer Kinder und ihres ersten Enkels nicht bewusst. Als könnte sie nicht einmal ihr Lachen hören. Er wusste nie, wie er die Countess behandeln sollte. Ganz gleich, was er versuchte – sie zu besänftigen, sie zu zwingen oder ihr seinen Willen aufzudrängen –, seine Mutter kämpfte gegen ihn an. Er nahm an, damit wollte sie ihn für das, was er getan hatte, bestrafen.
„Bitte, Marcus“, flehte Min. „Wenn wir aufpassen und ihn ihr nur für einen Moment lassen. Sie wird ihm nichts tun, da bin ich mir ganz sicher.“
Mins Blick war so ängstlich, dass es ihm das Herz brach. „Sie wird sich nicht einmal daran erinnern, dass sie ihn gehalten hat.“
„Marcus, ich würde es gern versuchen.“
Oh, der Mann war ein ungehorsamer Schuft!
Venetia warf ihren Pinsel ins Wasserglas und ließ sich auf ihrem Stuhl zurücksinken. Dann fixierte sie finster die Leinwand – und ihren widerspenstigen Helden.
„Du sollst ein blonder Krieger sein! Scharlachrot gekleidet, gegürtet mit einem tödlichen Schwert und mit einer noch viel herrlicheren Waffe zwischen deinen Schenkeln. Du sollst kein schwarzhaariger Earl mit einem gefährlichen Lächeln sein!“
Du lieber Himmel, sie redete mit einem zweidimensionalen Mann! Und wie der Earl of Trent hörte er ihr nicht zu.
Sein Kuss brannte immer noch auf ihren Lippen. Ein Kuss, mit dem er sich den Beweis ihrer Unschuld verschafft hatte, ein Kuss, der jede Vorstellung erschütterte, die sie sich jemals von einer Liebesaffäre gemacht hatte. Sie konnte diesen Kuss nicht vergessen. Ebenso wenig wie ihn. War es das, was Wolllust aus einer Frau machte?
Venetia stützte ihre Ellenbogen auf das Pult, wobei sie aufpasste, sie nicht in feuchte Farbe zu legen, und ließ ihre Stirn auf ihre Hände sinken. Sie hatte mit vier verschiedenen Bildern begonnen und auf jedem einzelnen sah der Mann haargenau aus wie Trent. Sie hatte sogar versucht, ein Bild von zwei üppigen, lüsternen Kurtisanen zu malen, die die prallen Brüste der jeweils anderen erforschten. Während sie gemalt hatte, hatte ihr Herz wild geschlagen, ihre Kehle war eng geworden, und dann war plötzlich, im Hintergrund, ein Portrait des sinnlichen Earls aufgetaucht.
Nacht für Nacht wälzte sie sich von einer Seite auf die andere. Stellte ihn sich in ihrem Bett vor – ohne einen Faden auf dem Leib – wie er sie küsste, sich über sie schob, ihre Schenkel öffnete …
Ihr Ellenbogen stieß gegen die Teetasse. Die Tasse wackelte, und bevor sie sie festhalten konnte, kippte sie um. Tee ergoss sich über das Bild. Doch was spielte das für eine Rolle? Ihre Laufbahn war beendet.
Aus reiner Gewohnheit war sie in ihr Atelier gegangen, hatte nach dem Pinsel gegriffen und angefangen zu malen, um ihrer Verwirrung Herr zu werden und ihre wild kreisenden Gedanken unter Kontrolle zu bringen. Sie hatte keine andere Wahl als ihre Unabhängigkeit aufzugeben, aber genau das wollte sie nicht tun!
Es ging um mehr als um Geld. Sie würde aufs Land zurückkehren müssen. Und dann? Würde sie eine seltsame alte Jungfer werden, die in der Kirchengemeinde Gutes tat? Und wann immer sie beim Landadel zu Gast war, konnte sie dort die Bibliotheken durchsehen um festzustellen, ob dort ihre Bücher standen.
Sie könnte heiraten. Mit 24 war sie nach den Regeln der Londoner Gesellschaft bereits eine sitzen gebliebene Jungfer, aber wenn sie viel Glück hatte, würde sie vielleicht einen Witwer finden, der in Erwägung zog, sie zu nehmen. Es gab einen in Maidenswode, der ihr ein Angebot gemacht hatte – er war 50, fett, hatte acht Kinder und trank.
Aufs Land zurückzukehren würde heißen, ihre Bilder in den Ställen zu verstecken und sich in den Wald zu schleichen, um dort zu malen …
Sie würde wieder in aller Heimlichkeit malen müssen. Als ihre Mutter damals jenes erste Portrait gefunden hatte – das einer nackten männlichen Statue – hatte sie ihr das Malen verboten. Ihre Mutter befürchtete, es war das künstlerische Temperament, das Rodesson so zügellos machte. Olivia Hamilton war entsetzt gewesen, als sie entdeckt hatte, dass ihre älteste Tochter den Drang fühlte, nackte Männer zu malen.
Venetia strich über den Elfenbeingriff ihres Pinsels. Was tat er
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