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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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auch sagen.
     
    Es ist niemand im Garten. Ob es regnen wird?
     
    Draußen verblaßt das Licht. Es ist schon rötlich. Bald wird es dunkel sein. Schon jetzt ist es dunkler. Es hat nicht lange gedauert.
    Es gibt eine Reihe von Dingen, die ich tun könnte. Ich könnte zum Beispiel das Haus anzünden. Ich könnte einige meiner Kleider zusammenbündeln, dazu die Laken, und mein verstecktes Streichholz anstecken. Wenn es nicht zünden würde, wär's das schon. Aber wenn es zünden würde, wäre das zumindest ein Ereignis, ein Signal, zur Feier meines Abgangs. Ein paar Flammen, leicht zu löschen. In der Zwischenzeit könnte ich Wolken von Rauch erzeugen und den Erstickungstod sterben.
    Ich könnte mein Bettlaken in Streifen reißen und es zu einer Art Strick drehen und ein Ende an das Bein meines Bettes binden und versuchen, die Fensterscheibe einzuschlagen. Die bruchsicher ist.
    Ich könnte zum Kommandanten gehen, mich auf den Boden werfen mit aufgelöstem Haar, wie man so sagt, ihn um die Knie fassen, gestehen, weinen, flehen. Hirundo maleficis evoltat, könnte ich sagen. Kein Gebet. Ich stelle mir seine Schuhe vor, schwarz, schön poliert, unergründlich – ihre Meinung für sich behaltend.
    Statt dessen könnte ich mir das Bettlaken auch in einer Schlinge um den Hals legen, mich im Wandschrank aufknüpfen und mich dann mit meinem gesamten Gewicht nach vorn werfen, um mich selbst zu erwürgen.
    Ich könnte mich hinter der Tür verstecken, warten, bis sie den Flur entlanggetappt kommt und den Urteilspruch, welchen auch immer, bringt: Buße, Strafe. Und könnte auf sie springen, sie zu Boden werfen, sie scharf und genau in den Kopf treten. Um sie von ihrem Elend zu erlösen, und mich auch. Um uns von unserem Elend zu erlösen.
    Ich würde Zeit gewinnen.
    Ich könnte mit gleichmäßigen Schritten die Treppen hinuntergehen und zur Haustür hinaus und die Straße entlang, und versuchen, so auszusehen, als wüßte ich, wohin ich ginge, und könnte ausprobieren, wie weit ich käme. Rot ist so sichtbar.
    Ich könnte zu Nicks Zimmer gehen, über der Garage, wie wir es schon getan haben. Ich könnte mir überlegen, ob er mich einlassen würde oder nicht, um mir Schutz zu gewähren.
    Jetzt, wo die Not echt ist.
     
    All diese Möglichkeiten bedenke ich in Muße. Jede kommt mir genauso gewichtig vor wie alle anderen. Nicht eine, so scheint mir, die den anderen vorzuziehen wäre. Mattigkeit herrscht hier, in meinem Körper, in meinen Beinen und Augen. Das ist es, was dich am Ende schafft. Glaube ist nur ein Wort, gestickt.
     
    Ich schaue hinaus in die Dämmerung und denke daran, wie es im Winter ist. Der Schnee, der fällt, sanft, mühelos, alles mit weichem Kristall bedeckt, der Dunst von Mondlicht vor dem Regen, der die Umrisse verwischt, Farben auslöscht. Erfrieren ist schmerzlos, heißt es, nach dem ersten Kältegefühl. Du legst dich zurück in den Schnee, ein Engel, wie ihn Kinder machen, und schläfst ein.
    Hinter mir spüre ich ihre Gegenwart, meine Vorgängerin, mein Double, das sich freischwebend unter dem Kronleuchter dreht, in ihrem Kostüm aus Sternchen und Federn, ein Vogel, im Flug gestoppt, eine in einen Engel verwandelte Frau, die darauf wartet, gefunden zu werden. Diesmal von mir. Wie konnte ich nur glauben, ich sei hier allein? Wir waren immer zu zweit. Bring es hinter dich, sagt sie. Ich bin dieses Melodrama leid, ich bin dieses Stillschweigen leid. Da ist niemand, den du schützen kannst, dein Leben hat für niemanden einen Wert. Ich möchte, daß es endet.
     
    Als ich aufstehe, höre ich den schwarzen Wagen. Ich höre ihn, bevor ich ihn sehe – noch unsichtbar im Dämmerlicht taucht er schließlich aus seinem eigenen Geräusch empor – eine Verfestigung, eine Verdichtung der Nacht. Er biegt in die Einfahrt ein, hält an. Ich kann gerade noch das weiße Auge, die beiden Flügel ausmachen. Die Farbe muß phosphoreszierend sein. Zwei Männer lösen sich von den schwarzen Umrissen, kommen die Stufen zur Haustür herauf, läuten. Ich höre die Glocke läuten, unten im Flur, ding-dong – wie der Geist einer Kosmetikerin.
    Schlimmeres steht also bevor.
    Ich habe meine Zeit vergeudet. Ich hätte die Dinge selbst in die Hand nehmen sollen, solange ich noch die Gelegenheit hatte. Ich hätte ein Messer aus der Küche stehlen, einen Weg zur Nähschere finden sollen. Es gab die Gartenschere, die Stricknadeln – die Welt ist voller Waffen, wenn du danach suchst. Ich hätte aufpassen sollen.
    Aber es ist zu spät,

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