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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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ihre Gabel hinlegt und die Hälfte dessen, was sie auf dem Teller hat, unangerührt läßt. Möglicherweise wird sie sagen, daß sie keinen Appetit hat. Möglicherweise wird sie nichts sagen. Wenn sie etwas sagt, wird er es kommentieren. Und wenn sie nichts sagt, wird er es merken? Ich möchte wissen, wie sie es bewerkstelligt, sich bemerkbar zu machen. Ich stelle mir vor, daß es schwer sein muß.
     
    Ein Klümpchen Butter liegt am Rand des Tellers. Ich reiße eine Ecke von der Papierserviette ab, wickle die Butter hinein, gehe damit zum Schrank und stecke es in die Spitze des rechten Schuhs meines Ersatzpaars, so wie ich es schon manchmal gemacht habe. Ich knülle den Rest der Serviette zusammen: es wird sich niemand die Mühe machen, sie zu glätten, um zu prüfen, ob auch nichts davon fehlt. Ich werde die Butter später in der Nacht benutzen. Heute abend nach Butter zu riechen, das würde nicht gehen.
     
    Ich warte. Ich sammle mich. Mein Ich ist ein Ding, das ich jetzt sammeln muß, so wie man Fakten für eine Rede sammelt. Ich muß ein gemachtes Ding präsentieren, nicht etwas Geborenes.
     

V
Kurzer Schlaf

Kapitel dreizehn
    Mir bleibt noch etwas Zeit. Das gehört zu den Dingen, auf die ich nicht vorbereitet war – die viele unausgefüllte Zeit, die langen Pausen, in denen nichts geschieht. Zeit als weißes Rauschen. Wenn ich nur sticken könnte. Weben, knüpfen, irgend etwas mit den Händen tun. Ich sehne mich nach einer Zigarette. Ich erinnere mich daran, daß ich einst durch Gemäldegalerien ging, durch das neunzehnte Jahrhundert: wie besessen sie damals von Harems waren. Dutzende von Haremsgemälden, dicke Frauen, die sich auf Diwanen räkelten, mit Turbanen auf dem Kopf oder Samtkappen; sie wurden mit Pfauenfedern gefächelt, während ein Eunuch im Hintergrund Wache stand. Studien sitzenden Fleisches, von Männern gemalt, die nie im Orient gewesen waren. Solche Bilder galten als erotisch, und ich dachte damals auch, daß sie es seien; doch jetzt verstehe ich, worum es auf diesen Bildern wirklich ging. Es waren Gemälde über das aufgeschobene Leben, über das Warten, über Gegenstände, die nicht in Gebrauch waren. Es waren Gemälde über die Langeweile.
    Aber vielleicht ist Langeweile erotisch – wenn Frauen sich langweilen – für Männer.
     
    Ich warte, gewaschen, gebürstet, gefüttert, wie ein Preis-Schwein. Irgendwann in den achtziger Jahren erfand man Schweinebälle, Bälle für Schweine, die in Ställen gemästet wurden. Schweinebälle waren große bunte Bälle; die Schweine rollten sie mit ihrem Rüssel umher. Die Schweinehändler behaupteten, das verbessere ihren Muskeltonus; die Schweine waren neugierig, sie hatten gern etwas zum Nachdenken um sich.
    Das habe ich in der Einführung in die Psychologie gelesen – das und das Kapitel über die eingesperrten Ratten, die sich selbst Elektroschocks versetzten, nur um etwas zu tun zu haben. Und das über die Tauben, die darauf abgerichtet worden waren, mit dem Schnabel auf einen Knopf zu drücken, was bewirkte, daß ein Maiskorn zum Vorschein kam. Die Tauben waren in drei Gruppen eingeteilt: die erste bekam ein Korn pro Picken, die zweite ein Korn bei jedem zweiten Picken, die dritte war dem Zufall ausgeliefert. Als der Versuchsleiter die Maiszufuhr unterbrach, gab die erste Gruppe ziemlich rasch auf, die zweite Gruppe ein wenig später. Die dritte Gruppe gab nie auf. Diese Tauben hätten sich eher zu Tode gepickt, als aufzuhören. Wer konnte schon wissen, was funktionierte?
    Ich wünschte, ich hätte einen Schweineball.
     
    Ich lege mich auf den geflochtenen Teppich. Ihr könnt immer und überall eure Übungen machen, sagte Tante Lydia. Mehrere Male am Tag, ihr könnt sie in euren üblichen Tagesablauf einschieben. Arme zur Seite, die Knie gebeugt, das Becken heben, auf der Wirbelsäule abrollen. Hinhocken. Und noch einmal. Einatmen und bis fünf zählen, Luft anhalten, ausatmen. Wir machten es in dem Raum, der früher das Hauswirtschaftszimmer gewesen war. Die Nähmaschinen, die Wasch- und Trockenautomaten waren fortgebracht worden; alle gemeinsam lagen wir auf kleinen japanischen Matten, ein Tonband spielte, Les Sylphides. Das höre ich auch jetzt, im Kopf, während ich hebe, kippe, atme. Hinter meinen geschlossenen Augen huschen dünne weiße Tänzer anmutig zwischen den Bäumen hindurch, und ihre Beinchen flattern wie die Flügel festgehaltener Vögel.
     
    Nachmittags lagen wir eine Stunde lang in der Turnhalle auf unseren Betten,

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