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Der Report der Magd

Der Report der Magd

Titel: Der Report der Magd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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der Lust, oder als Fortbewegungsmittel, oder als Werkzeug bei der Umsetzung meines Willens in die Tat. Ich konnte ihn zum Laufen benutzen, konnte mit seiner Hilfe Knöpfe dieser oder jener Art drücken, bewirken, daß Dinge geschahen. Es gab Grenzen, aber mein Körper war doch geschmeidig, unabhängig, stabil, eins mit mir.
    Jetzt verteilt dieser Körper sich anders. Ich bin eine Wolke, um einen zentralen Gegenstand herum erstarrt, der die Form einer Birne hat, der hart und wirklicher ist als ich und rot in seiner durchsichtigen Hülle schimmert. Darinnen ist ein Raum, riesig wie der Himmel bei Nacht und ebenso dunkel und gewölbt, wenn auch eher schwarz-rot als schwarz. Winzige Lichtpünktchen schwellen, funkeln, bersten und schrumpfen darin zusammen, unzählig wie Sterne. Jeden Monat erscheint ein Mond, gewaltig, rund, schwer, ein Omen. Er zieht hindurch, hält inne, zieht weiter und verschwindet, und ich sehe die Verzweiflung auf mich zukommen wie eine Hungersnot. Sich so leer zu fühlen, wieder und wieder. Ich horche auf mein Herz, Welle auf Welle, salzig und rot, wie es immer weiterklopft, den Takt schlägt.
     
    Ich bin in unserer ersten Wohnung, im Schlafzimmer. Ich stehe vor dem Schrank, der mit hölzernen Klapptüren versehen ist. Um mich herum, weiß ich, ist alles leer, alle Möbel sind fort, die Fußböden sind nackt, nicht einmal mehr Teppiche. Und doch ist der Schrank voller Kleider. Ich denke zuerst, es seien meine Kleider, aber sie sehen nicht wie meine aus, ich habe sie nie zuvor gesehen. Vielleicht sind es Kleider, die Lukes Frau gehören, die ich auch noch nie gesehen habe – nur Bilder und eine Stimme am Telefon, spät nachts, wenn sie uns anrief, weinend, anklagend, vor der Scheidung. Aber nein, es sind doch meine Kleider. Ich brauche ein Kleid, ich brauche etwas zum Anziehen. Ich ziehe Kleider heraus, schwarze, blaue, lila, Jacken, Röcke. Nichts davon kommt in Betracht, nichts davon paßt, sie sind alle zu groß oder zu klein.
    Luke ist da, hinter mir, ich drehe mich um und sehe ihn. Er aber schaut mich nicht an, er blickt zu Boden, wo die Katze sich an seinen Beinen reibt und unaufhörlich klagend miaut. Sie will etwas zu fressen haben, aber wie kann es in einer so leeren Wohnung etwas zu fressen geben?
    Luke, sage ich. Er antwortet nicht. Vielleicht hört er mich nicht. Mir kommt der Gedanke, daß er vielleicht gar nicht lebendig ist.
     
    Ich laufe mit ihr, halte sie an der Hand, ziehe, zerre sie durch das Farngestrüpp, sie ist nur halb wach wegen der Tablette, die ich ihr gegeben habe, damit sie nicht weint oder etwas sagt, was uns verriete, sie weiß nicht, wo sie ist. Der Boden ist uneben, Felsen, abgestorbene Zweige, der Geruch von feuchter Erde, altem Laub, sie kann nicht schnell genug laufen, allein könnte ich schneller laufen, ich bin eine gute Läuferin. Jetzt weint sie, sie hat Angst, ich möchte sie tragen, aber sie wäre zu schwer. Ich habe meine Wanderstiefel an, und ich denke, wenn wir ans Wasser kommen, werde ich sie ausziehen müssen. Wird es zu kalt sein, wird sie so weit schwimmen können, was ist mit der Strömung, das haben wir nicht erwartet. Still, sage ich ärgerlich zu ihr. Ich muß daran denken, daß sie ertrinken könnte, und der Gedanke verlangsamt meine Schritte. Dann fallen hinter uns die Schüsse, nicht laut, nicht wie ein Feuerwerk, sondern scharf und knackend, wie wenn ein trockner Zweig bricht. Sie hören sich falsch an, niemals klingt etwas so, wie man es erwartet, und ich höre die Stimme, Runter, ist es eine wirkliche Stimme oder eine Stimme in meinem Kopf oder meine eigene, zu laute Stimme?
    Ich ziehe sie zu Boden und wälze mich auf sie, um sie zu decken, zu beschützen. Still, sage ich wieder, mein Gesicht ist naß, Schweiß oder Tränen – ich habe das Gefühl, ganz ruhig zu sein und wie schwebend, als wäre ich nicht mehr in meinem Körper; dicht vor meinen Augen liegt ein Blatt, rot, frühzeitig verfärbt, ich kann jede der hellen Adern erkennen. Es ist das Schönste, was ich jemals gesehen habe. Ich schiebe mich vorsichtig von ihr herunter, ich will sie nicht ersticken, statt dessen kauere ich mich schützend um sie und halte meine Hand vor ihren Mund. Ich höre Atmen und das Klopfen meines eigenen Herzens, wie lautes Trommeln an der Tür eines Hauses bei Nacht, wo man Sicherheit zu finden hoffte. Ist ja gut, ich bin doch bei dir, sage ich, flüstere ich, Bitte sei still! Aber wie kann sie still sein? Sie ist zu jung, es ist zu spät, wir geraten

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