Der Report der Magd
Janine in Tränen ausgebrochen. Tante Helena befahl ihr, mit den Händen auf dem Rücken vorn im Klassenzimmer niederzuknien, wo wir sie alle sehen konnten, ihr rotes Gesicht und ihre tropfende Nase. Ihr Haar aschblond, ihre Wimpern so hell, daß sie gar nicht vorhanden schienen, die fehlenden Wimpern eines Menschen, der in ein Feuer geraten ist. Verbrannte Augen. Sie sah gräßlich aus: schwach, gekrümmt, fleckig, rosa, wie eine neugeborene Maus. Keine von uns wollte so aussehen wie sie, nie! Einen Moment lang verachteten wir sie, obwohl wir wußten, was ihr angetan wurde.
Heulsuse. Heulsuse. Heulsuse.
Wir meinten es wirklich, und das ist das Schlimme daran.
Ich hatte früher eine gute Meinung von mir. In dieser Situation nicht mehr.
Das war letzte Woche. Diese Woche wartet Janine nicht erst, bis wir sie verhöhnen. Es war meine Schuld, sagt sie. Es war meine eigene Schuld. Ich habe sie verführt. Ich habe den Schmerz verdient.
Sehr gut, Janine, sagt Tante Lydia. Du bist vorbildlich.
Ich muß warten, bis es vorüber ist, ehe ich die Hand hebe. Manchmal, wenn man zum falschen Zeitpunkt fragt, sagen sie nein. Wenn man wirklich muß, kann das kritisch werden. Gestern hat Dolores den Fußboden genäßt. Zwei Tanten schleppten sie fort, eine Hand unter jeder Achsel. Beim Nachmittagsspaziergang war sie nicht dabei, aber nachts lag sie wieder in ihrem üblichen Bett. Die ganze Nacht hörten wir sie in Abständen stöhnen.
Was haben sie ihr getan? flüsterten wir von Bett zu Bett.
Ich weiß nicht.
Es nicht zu wissen, macht es noch schlimmer.
Ich hebe die Hand, Tante Lydia nickt. Ich stehe auf und gehe hinaus in den Flur, so unauffällig wie möglich. Vor der Toilette steht Tante Elizabeth Wache. Sie nickt, zum Zeichen dafür, daß ich hineingehen darf.
Diese Toilette war früher für Jungen. Auch hier sind die Spiegel durch Rechtecke aus trübem grauem Metall ersetzt worden, aber die Urinbecken sind noch da, an der einen Wand: weiße Emaille mit gelben Flecken. Sie sehen seltsamerweise wie Babysärge aus. Wieder einmal wundere ich mich über die Nacktheit im Leben der Männer: das Duschen vor aller Augen, der Körper prüfenden und vergleichenden Blicken ausgesetzt, das öffentliche Zurschaustellen der Geschlechtsteile. Wozu? Welchen Bedürfnissen nach Selbstbestätigung dient es? Das Vorzeigen einer Erkennungsmarke, schaut her, alle miteinander, alles ist in Ordnung, ich gehöre hierher. Warum brauchen Frauen einander nicht zu beweisen, daß sie Frauen sind? Irgendeine Form des Aufknöpfens, eine Schrittschlitz-Prozedur, genau so beiläufig. Ein hundeartiges Sich-Beschnüffeln.
Die High School ist ein altes Gebäude, die Kabinen sind aus Holz, aus Spanplatten oder dergleichen. Ich gehe in die zweitletzte und schlage die Tür zu. Natürlich gibt es keine Schlösser mehr. In der Holzwand ist ein kleines Loch, hinten, dicht bei der Wand, etwa in Taillenhöhe, das Souvenir eines früheren Vandalismus oder das Vermächtnis eines ehemaligen Voyeurs. Alle wissen von diesem Loch im Holz – alle, außer den Tanten.
Ich habe Angst, daß ich zu spät dran bin, aufgehalten, weil Janine so lange brauchte, um Zeugnis abzulegen. Vielleicht ist Moira schon hiergewesen, vielleicht mußte sie zurück. Sie lassen einem nicht viel Zeit. Ich blicke vorsichtig nach unten, schräg unter der Trennwand hindurch, und dort sind zwei rote Schuhe. Aber wie soll ich wissen, wer es ist?
Ich lege meinen Mund an das Loch im Holz. Moira? flüstere ich.
Bist du es? fragt sie.
Ja, sage ich. Erleichterung durchzieht meinen Körper. Mein Gott, hab ich einen Gieper nach einer Zigarette, sagt Moira.
Ich auch, sage ich.
Ich fühle mich lächerlich glücklich.
Ich tauche in meinen Körper ein wie in ein Sumpfland, ein Moorgebiet, wo nur ich die sicheren Tritte kenne. Heimtückischer Boden, mein persönliches Hoheitsgebiet. Ich werde zu der Erde, an die ich mein Ohr lege, um Gerüchte über die Zukunft zu hören. Jedes Stechen, jedes Rumoren geringsten Schmerzes, die Kräuselungen abgestreifter Materie, die Schwellungen und Schrumpfungen von Gewebe, das Sabbern des Fleisches – das sind die Zeichen, das sind die Vorgänge, über die ich Bescheid wissen muß. Jeden Monat schaue ich nach Blut, voller Angst, denn wenn es kommt, bedeutet das Mißerfolg. Wieder einmal ist es mir nicht gelungen, die Erwartungen anderer, die zu meinen eigenen geworden sind, zu erfüllen.
Früher habe ich meinen Körper als Instrument betrachtet, ein Instrument
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